Basel – Stickstoff aus Landwirtschaft, Verkehrsabgasen und Industrie bringt Schmetterlinge in der Schweiz in Bedrängnis. Über die Luft lagert sich das Element in den Böden ab und verändert die Vegetation – zum Nachteil der Tagfalter, wie Forschende der Universität Basel feststellten.
In der Schweiz gelten über die Hälfte der Tagfalterarten als gefährdet oder potentiell gefährdet. Bei der Suche nach Ursachen stehen meist die intensive Landwirtschaft, das Ausbringen von Pestiziden und der Klimawandel im Fokus. Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Valentin Amrhein von der Universität Basel ist jedoch einem anderen Faktor nachgegangen: der Verfrachtung von Stickstoff aus der Landwirtschaft und Abgasen aus Industrie und Verkehr über die Luft. Im Fachjournal «Conservation Biology» berichtet das Forschungsteam von einem Zusammenhang zwischen dieser ungewollten Düngung und einer geringen Vielfalt von Tagfaltern in der Schweiz.
Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass zu viel Stickstoff zu einer dichteren Vegetation führt, bei der aber gleichzeitig weniger unterschiedliche Pflanzenarten vorkommen. Denn der Stickstoff befeuert das Pflanzenwachstum, vor allem jenes von anspruchslosen Gewächsen. Spezialisiertere Arten werden indes verdrängt. «Wir wollten prüfen, ob sich der Stickstoffüberschuss indirekt über diese Veränderung der Vegetation auch auf die Vielfalt der Tagfalter auswirkt», erklärt Dr. Tobias Roth, Erstautor der Studie.
Video: Interview mit Prof. Dr. Valentin Amrhein:
Das Team analysierte Daten aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz über die Vielfalt und Häufigkeit von Pflanzen und Schmetterlingen auf 383 Flächen in der gesamten Schweiz. Das Ergebnis war eindeutig: Je mehr Stickstoff auf den untersuchten Flächen über die Luft eingetragen wird, desto artenärmer und dichter die Vegetation und desto geringer die Vielfalt von Tagfaltern.
Nahrung und Mikroklima
«Manche Schmetterlingsarten brauchen als Raupe bestimmte Pflanzenarten als Nahrung, oder sind auf ein bestimmtes Mikroklima angewiesen», erklärt Roth den Zusammenhang. Die Überdüngung führt dazu, dass offene, warme und trockene Orte durch stärkeres Pflanzenwachstum kühler, schattiger und feuchter werden.
Die Folge davon: Der Stickstoffüberschuss wirkt sich auf die Häufigkeit einer Vielzahl von Tagfalterarten in der Schweiz aus, die etwa offene und trockene Standorte bevorzugen. Den deutlichsten Effekt stellten die Forschenden bei seltenen und gefährdeten Tagfalterarten fest. «Der Stickstoffeintrag durch die Luft dürfte ein wichtiger Faktor sein, warum diese Arten gefährdet sind», hält Roth fest.
Ähnlich starker Effekt wie Klimawandel
Die bisherige Fachliteratur über die Vielfalt von Tagfaltern erklärte das Aufkommen oder Fehlen der Arten vor allem mit der Qualität des Lebensraums oder dem Klima. Die Pflanzenvielfalt und Dichte der Vegetation erhielt bislang weniger Beachtung, wie eine Literaturrecherche des Forschungsteams ergab. «Die Folgen der Stickstoffanreicherung für die Schmetterlinge wurden bisher wohl unterschätzt», sagt Amrhein. Für die Tagfaltervielfalt scheint Stickstoff eine ähnlich grosse Rolle zu spielen wie der Klimawandel.
Um gegenzusteuern, sehen die Forschenden kein einfaches Patentrezept. Ein gewisses Potenzial gibt es weiterhin bei technischen Verbesserungen. «Früher wurde beispielsweise Gülle über den Ackerflächen versprüht und einiges davon wurde mit dem Wind auf andere Flächen verweht», erklärt Roth. Heute würden vermehrt Schleppschläuche verwendet, die die Gülle direkt auf den Ackerboden aufbringen. Das reduziere den Stickstoffeintrag über die Luft auf andere Flächen, wo der Stickstoff unerwünscht sei.
Zudem liessen sich die negativen Auswirkungen in empfindlichen Lebensräumen mit Pufferzonen und einer angepassten Landschaftspflege teilweise abfedern: Darunter fallen Massnahmen, um Verbuschung zu vermeiden, etwa Beweidung oder häufigeres Mähen. Davon profitieren nicht nur anspruchsvolle Pflanzenarten, sondern eben auch die Schmetterlinge. Letztlich führt laut den Forschenden aber kein Weg an einem umweltfreundlichen Konsumverhalten vorbei, um den unerwünschten Stickstoffeintrag zu senken, zum Beispiel durch die Reduktion von Autoabgasen und Viehhaltung. Rund zwei Drittel der Stickstoffeinträge in empfindliche Ökosysteme haben nämlich heute in der Schweiz ihren Ursprung in Ammoniak-Emissionen aus der Viehhaltung. (Universität Basel/mc/ps)
Originalpublikation
Tobias Roth, Lukas Kohli, Beat Rihm, Reto Meier, Valentin Amrhein
Negative effects of nitrogen deposition on Swiss butterflies
Conservation Biology (2021), doi: 10.1111/cobi.13744
Universität Basel