Stiftungen Marcel Benoist und Latsis vergeben Wissenschaftspreise 2020
Bern – Erstmals werden 2020 die beiden renommierten Schweizer Wissenschaftspreise Marcel Benoist und Latsis gemeinsam verliehen. Der als ‘Schweizer Nobelpreis’ bekannte Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist geht im Jubiläumsjahr an Rudolf Aebersold (ETH Zürich/Universität Zürich) für seine Pionierarbeit in der Systembiologie. Den Nationalen Latsis-Preis, der an Nachwuchsforschende bis 40 Jahre vergeben wird, erhält Maryna Viazovska (ETH Lausanne) für ihre bahnbrechenden mathematischen Problemlösungen.
Mitbegründer der Proteomik und Pionier der translationalen Medizin
Die Marcel Benoist Stiftung verleiht in ihrem Jubiläumsjahr den 100. Preis an Rudolf Aebersold, Professor für Systembiologie an der ETH Zürich und an der Universität Zürich. Der Preis ist mit CHF 250’000 dotiert. Seit 1920 zeichnet die Stiftung herausragende Forschung aus, die für das menschliche Leben von Bedeutung ist.
Rudolf Aebersold zählt zu den Gründervätern der Mitte der neunziger Jahre entstandenen Proteomik. Diese Forschungsrichtung veranschaulicht den gesamten Satz an Proteinen, die in einer Zelle vorhanden sind. Sie erforscht deren Eigenschaften und Zusammenwirken im Zellstoffwechsel oder wenn Zellen auf Veränderungen in ihrem Umfeld reagieren, wie beispielsweise bei der Früherkennung von Krebs mit Biomarkern auf Proteinen.
In einer menschlichen Zelle laufen hunderte biochemische Prozesse gleichzeitig ab, die von zehntausend verschiedenen Proteinarten ausgeführt und gesteuert sind. Aebersold hat deren Betrachtung mit neuen Messverfahren der Massenspektrometrie revolutioniert.
Sein Paradigmenwechsel zur quantitativen Messung und systemischen Betrachtung hat nicht nur das Verständnis von Organismen und der Biologie verändert. Er beeinflusst auch die translationale Medizin und ist ein wichtiger Grundstein für die personalisierte Medizin der Zukunft. «Die Auszeichnung mit dem Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist ist eine grosse Ehre für mich und mein tolles Team. Er honoriert gleichzeitig auch die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit von Forschenden und den offenen Austausch von Messdaten, beides Grundlagen für den Erfolg der Proteomik», freut sich Aebersold.
Löserin eines jahrhundertealten Mathematikproblems
Maryna Viazovska erhält den mit CHF 100’000 dotierten Nationalen Latsis-Preis 2020. Die aus der Ukraine stammende junge Mathematik-Professorin der ETH Lausanne erzielte 2016 einen wissenschaftlichen Durchbruch bei der Lösung von Kugelpackungsproblemen. «Ich freue mich, mit dem Latsis-Preis zum ausgezeichneten Ruf meines Instituts und seiner Angehörigen beizutragen. Ich hoffe natürlich auch, dass der Preis hilft, junge Mädchen für die Mathematik zu begeistern», so Viazovska.
Die mathematische Herleitung der dichtest möglichen Anordnung von Kugeln in einem Raum geht auf eine Problemstellung des Entdeckers Sir Walter Raleigh aus dem 16. Jahrhundert zurück. Er warf die Frage auf, wie auf einem Schiff Kanonenkugeln in der dichtesten Weise zu stapeln seien. Koryphäen der Mathematik stellten während Jahrhunderten Vermutungen zum Kugelpackungsproblem im mehrdimensionalen Raum auf, die erst 1998 mit riesigen Computerberechnungen dreidimensional bewiesen werden konnten.
Viazovska erzielte in der Welt der modernen Mathematik mit der originellen und verblüffend einfachen Berechnung der dichtesten Kugelpackung für die viel komplexere 8. und 24. Dimension eine Sensation – Letztere in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe. Forschungsergebnisse zu Kugelpackungen im hochdimensionalen Raum finden auch praktische Anwendung in der Alltagstechnologie. Beispielsweise bei der Analyse von Kristallstrukturen oder in der Fehlerbehebung bei der Signalübertragung von Mobiltelefonen, Raumsonden oder Internetverbindungen. Wurde in den beiden Dimensionen bisher mit Hypothesen gearbeitet, so hat Maryna Viazovskas Forschungsexploit den mathematischen Beweis geliefert und trägt bereits jetzt zur Lösung fundamentaler Problemstellungen der angewandten Mathematik bei.
Die Verleihung der Schweizer Wissenschaftspreise durch die Marcel Benoist Stiftung und die Fondation Latsis findet am 4. November 2020 im Berner Rathaus statt.
Rudolf Aebersold
Rudolf Aebersold ist 1954 in der Schweiz geboren und hat 1983 in Basel die Doktorwürde in Zellbiologie erlangt. Seine Forschungs- und Lehrtätigkeit führte ihn in die USA und nach Kanada: als Postdoc an das California Institute of Technology, als Assistenzprofessor an die University of British Columbia in Vancouver und als assoziierter Professor an die University of Washington in Seattle. Er ist Mitgründer des 2000 in Seattle als Weltpremiere eröffneten Instituts für Systembiologie. Aebersold ist Doppelprofessor an der ETH Zürich und an der Universität Zürich. Seit 2004 forscht er am Institut für Biotechnologie und seit 2005 am Institut für molekulare Systembiologie (IMSB) der ETH Zürich. Aebersold ist Träger zahlreicher namhafter Auszeichnungen, unter anderem des Human Proteome Organization Achievement Award 2005, des Otto-Nägeli-Preises 2010, des European Proteomics Association Pioneer Award 2012 und des Paracelsus Prize of the Swiss Chemical Society 2018. Seit 2020 ist er Professor Emeritus am IMSB. Er leitet bis Ende 2023 das Tumor-Profiling-Projekt der ETH Zürich.
Maryna Viazovska
Maryna Viazovska ist 1984 in der Ukraine geboren. 2002 gewann sie mit 17 Jahren die International Mathematics Competition; drei Jahre später triumphierte sie erneut. Ihren Bachelor in Mathematik absolvierte sie als Trägerin des Ostrogradsky Research Fellowship der nationalen Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew. Nach dem Masterstudium an der Universität Kaiserslautern wechselte sie 2007 für das Doktorat an die Max-Planck-Gesellschaft an der Universität Bonn und 2014 für das Postdoc an die Humboldt-Universität in Berlin. Seit 2017 ist sie Professorin an der ETH Lausanne und hält den Lehrstuhl für Zahlentheorie. Viazovska ist Trägerin zahlreicher wissenschaftlicher Auszeichnungen. Dazu gehören unter anderem der Clay Research Award 2017 und der New Horizons in Mathematics Prize 2018, der unter anderem von Mark Zuckerberg und Juri Milner gestiftet wird.