St. Gallen – Das Center for Aviation Competence (CFAC-HSG) der Universität St.Gallen hat in Zusammenarbeit mit dem Aviation Research Center Switzerland (ARCS) untersucht, welche Erwartungen die Schweizer Bevölkerung bis ins Jahr 2040 an die zivile Luftfahrt hat. Mehr als 80 Prozent der Befragten erwarten ein Wachstum des Flugreisemarktes über die kommenden 20 Jahre. Flugverbote oder andere Einschränkungen der Mobilität werden nur von einer Minderheit der Befragten goutiert.
Welche Rolle spielt die Luftfahrt im Hinblick auf Wohlstand, Reichtum und Wohlergehen der Schweizer Gesellschaft im Jahr 2040? Wie sehen in 20 Jahren die Verkehrsszenarien für das Schweizer Luftfahrtsystem aus? Und welche Erwartungen haben Einzelpersonen und die Gesellschaft an die Zivilluftfahrt? Dies sind einige der Fragen, welche das CFAC-HSG 2019 an 3000 Personen im Alter von 16 bis 69 Jahren gestellt hat. Die repräsentative Befragung erfolgte in einer Online-Delphi-Studie.
80 Prozent erwarten mehr Wachstum
Laut den Autoren Dr. Andreas Wittmer und Dr. René Puls (beide CFAC-HSG) resultierten aus den Antworten der Befragten einige unerwartete Aussagen und Meinungen. So erwarten mehr als 80 Prozent ein weiteres Wachstum des Flugreisemarktes mit einer Präferenz für Direktverbindungen auf Langstrecken.
«In der Langzeitbetrachtung von 20 Jahren wird die derzeitige Corona-Baisse aller Voraussicht nach nur mittelfristig wirken und vorübergehend sein», sagt Wittmer. Das negative Szenario in der Delphi-Studie geht von 20 Prozent Nachfragereduktion in den kommenden 20 Jahren aus. Das dürfte ein Szenario sein, wie es ca. im Jahr 2024 aufgrund von Covid-19 Realität sein könnte. Es stellt sich lediglich die Frage, ab wann die Luftfahrt und allenfalls von welchem tieferen Niveau als 2019, wieder wachsen wird.
Obwohl ein weiteres Wachstum des Flugreisemarktes erwartet wird, glaubt erstaunlicherweise gleichzeitig die Mehrheit der befragten Personen nicht, dass Flugverbindungen für das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand der Schweiz eine wesentliche Rolle spielen. Diese Dissonanz habe zu einer detaillierteren Analyse der Antworten animiert, heisst es in der Studie.
Die Auswertung der Daten zeigt, dass die Befragten die Luftfahrt als Teil der gesamten Mobilität betrachten. Sie befürworten Kapazitätserweiterungen und Angebote mit Schwerpunkt direkte interkontinentale Verbindungen. Deutlich wurde auch, dass der eigene Reisebedarf bereits heute ausreichend gedeckt ist und auch im Jahr 2040 mit dem bestehenden Infrastruktur- und Destinationsportfolio der individuelle Luftverkehrsbedarf ausreichend abgedeckt werden könnte.
Flugverbote gelten als unakzeptabel
«Die Schweizer Gesellschaft des Jahres 2019 glaubt nicht an die Notwendigkeit und den Erfolg von autonomen Luftverkehrslösungen – es besteht jedoch ein gewisses Vertrauen in die Elektrifizierung von Bodenfahrzeugen, einschliesslich autonomer Autos», lautet ein weiteres Fazit der Studie.
Insgesamt erachten die Befragten die Schweiz als innovativ und wirtschaftlich erfolgreich, wobei die Luftfahrt nicht als eine der wichtigsten Triebfedern für die Wettbewerbsfähigkeit angesehen wird. «Dieses Ergebnis ist besonders interessant, da 65 Prozent der gesamten Schweizer Güterproduktion exportiert und über 35 Prozent des Exportwertes auf dem Luftweg versandt werden. Höchstwahrscheinlich haben die Befragten keine Verbindung zu diesen Fakten hergestellt», betont René Puls.
Mögliche Flugverbote und eine Einschränkung der Mobilitätsmöglichkeiten wurden unter den Befragten grossmehrheitlich als unwahrscheinlich und nicht akzeptabel eingestuft. Trotz der unterschiedlichen Meinungen über die Flugverbindungen und die Zivilluftfahrt – die nach Alter, Region, Bildung oder politischen Überzeugungen stark variieren können –, halten hingegen die meisten Befragten Kompensationsmassnahmen für den Kohlenstoff-Fussabdruck der Luftfahrt für wahrscheinlich und sinnvoll. «Es ist diesbezüglich jedoch interessant zu erkennen, dass zusätzliche Reisekosten das Reiseverhalten der Befragten sehr wahrscheinlich nicht beeinflussen. Das bedeutet auch, dass die Preiselastizität der Nachfrage, die darauf abzielt, die Flugmobilität durch Erhöhung bestehender oder Erhebung neuer Passagiergebühren zu verringern, von Fluggesellschaften und Regierungen überbewertet wird», resümiert Andreas Wittmer. Dieses Konsumenten- bzw. Reiseverhalten werde auch durch Passagiergebühren in Deutschland bestätigt. Diese wurden dort schon vor einigen Jahren eingeführt und hatten keinen wirklichen Einfluss auf die Flugreisenachfrage.
Die gesamte Studie steht auf der Website des CFAC-HSG zum Download zur Verfügung. (Universität St. Gallen/mc/ps)