In wenigen Tagen ist es soweit. Die EZB wird – erstmals seit März 2016 – die Leitzinsen senken. Der Schritt ist verbal gut vorbereitet und wird am Markt erwartet. Einzig über das Ausmass herrscht noch Uneinigkeit. Zudem könnte es zur Ankündigung weiterer geldpolitischer Massnahmen kommen, etwa der Neuauflage eines Wertschriftenkaufprogramms.
EZB-Chef Mario Draghi begründet dies mit konjunkturellen Risiken. Die Konjunktur in der Eurozone hat sich tatsächlich merklich abgekühlt und droht sich weiter abzuschwächen. In normalen Zeiten dürfte eine Notenbank in einer solchen Situation durchaus mit dem Gedanken spielen, die Zinsen zu senken. Die Zeiten sind aber nicht normal. Die Zinsen sind bereits bzw. noch immer am Boden. Die EZB hat es verpasst, in den guten Konjunkturjahren die Leitzinsen anzuheben. Und es ist mehr als fraglich, ob noch tiefere Zinsen tatsächlich einen Wachstumseffekt haben werden oder ob sich die Eurozone nicht vielmehr in einer Liquiditätsfalle befindet, in der eine zusätzliche geldpolitische Expansion wirkungslos verpufft.
Zum wiederholten Mal hob Draghi auch die in seinen Augen immer noch zu tiefe Inflation hervor. Die Teuerungsrate soll gemäss Preisstabilitätsziel der EZB unter, aber nahe 2% liegen. Die relevante Kernteuerung lag die letzten fünf Jahre zwar «nur» zwischen 0.6% und 1.5%, jüngst um die 1%. Doch wer würde sich angesichts dieser recht stabilen Teuerungsentwicklung und der ansprechenden Konjunktur der letzten Jahre beklagen wollen, dass die EZB ihr Inflationsziel mehrheitlich verfehlt hat?
Deflations-Gespenst geht wieder um
Das Deflations-Gespenst, das Draghi notabene Anfang 2017 für weitgehend verschwunden erklärt hatte, geht offenbar wieder um. Mit Deflation, also einem allgemeinen, signifikanten und anhaltenden Rückgang des Preisniveaus, ist nicht zu spassen. Sie kann gravierende Folgen für eine Volkswirtschaft haben. Trotz vereinzelt negativer Inflationszahlen in einigen Ländern, befand und befindet sich die Eurozone nicht in einer Deflation. Und die am Markt abgebildeten Inflationserwartungen sind zwar tief, folgen aber eher der effektiven Teuerung, als dass sie als Vorboten einer deflationären Entwicklung oder gar als Inflationsprognose gelten können.
Unter den tiefen Zinsen leiden Sparer, Pensionskassen, Banken. Warum setzt die EZB das System – trotz ungewisser Erfolgschancen – einer noch stärkeren Belastung aus, als dies bereits heute der Fall ist? Vor allem die Fixierung auf das 2%-Inflationsziel ist übertrieben und verhindert die Normalisierung der Geldpolitik. Man könnte sagen: Das Ziel ist im Weg! (SZKB/mc)