T. Rowe Price : Das Ringen um genügend fossile Brennstoffe könnte zu einer Rezession führen

Justin Thomson, Chief Investment Officer, International Equity, T. Rowe Price. (Bild: T. Rowe Price)

Von Justin Thomson, Chief Investment Officer, International Equity, T. Rowe Price

Die Grosshandelspreise für Gas sind im Sommer in die Höhe geschnellt. Dies führte zu schrecklichen Vorhersagen über Stromausfälle, Rationierungen und Menschen, die in ihren Häusern frieren. Seitdem sind die Preise zurückgegangen, da sich gezeigt hat, dass die meisten europäischen Länder ihre Gasspeicher vor dem Winter weitgehend gefüllt haben. Es wäre jedoch ein Fehler, anzunehmen, dass die Energiekrise vorbei ist – in vielerlei Hinsicht hat sie gerade erst begonnen.

Nach dem Einmarsch in die Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin versucht, die riesigen Öl- und Gasreserven als Mittel zur Schwächung der Opposition in den westlichen Ländern zu nutzen. Angesichts der Abhängigkeit Deutschlands, Italiens und anderer europäischer Länder von billiger russischer Energie gab es Befürchtungen, dass ein Widerstand gegen Russland mehr wirtschaftlichen und sozialen Schaden anrichten würde, als der Kontinent verkraften könnte.

Aber die Drohung, das Gas abzustellen, war eine Waffe, die Putin nur einmal abfeuern konnte. Als die Bedrohung deutlich wurde, begannen die Länder, sich um alternative Energiequellen zu bemühen. Seit der Invasion sind die Gaseinfuhren aus Russland in die Länder der Europäischen Union (EU) erheblich zurückgegangen, was durch einen starken Anstieg der Einfuhren von Flüssigerdgas (LNG) aus den USA und Katar weitgehend ausgeglichen wurde. Zu einem bestimmten Zeitpunkt standen so viele LNG-Tanker in den europäischen Häfen Schlange, dass die Gas-Spotpreise kurzzeitig ins Minus gerieten. Gleichzeitig haben die europäischen Länder Energiepreisobergrenzen angekündigt, um Menschen und Unternehmen vor den Folgen der Energiekrise zu schützen. Diese teuren Programme haben die Kreditaufnahme der Regierungen in die Höhe getrieben, aber sie haben dazu beigetragen, soziale Instabilität und einen starken wirtschaftlichen Rückgang zu verhindern. Auch der Gasverbrauch ist aufgrund der steigenden Preise, des wärmeren Wetters und des Nachfragerückgangs im Industriesektor deutlich zurückgegangen.

Die Gasspeicher in Europa sind im Vergleich zu den Vorjahren gut gefüllt und ausgehend von der derzeitigen Nachfrage dürfte der Kontinent im Frühjahr 2023 noch über 30 bis 50 Milliarden Kubikmeter Speicher verfügen – eine weitaus bessere Position, als man sich noch vor wenigen Monaten vorstellen konnte. Dies bedeutet, dass Europa in diesem Winter wahrscheinlich nicht mit einer grösseren Energiekrise konfrontiert sein wird, es sei denn, es kommt zu einer Nachfragespitze aufgrund des kalten Wetters oder einer Umkehrung der Nachfragevernichtungsmuster.

Für eine Siegeserklärung im Energiekrieg ist es jedoch noch viel zu früh. Obwohl Putins Versuch, Europas Abhängigkeit von russischem Gas als Erpressungsinstrument zu nutzen, gescheitert ist, steht Europa immer noch vor der grossen Herausforderung, seinen Energiebedarf im Winter 2023 bis 2024 und darüber hinaus zu decken. Die Zeit, in der Russland als Hauptlieferant des europäischen Energiebedarfs fungierte, ist vorbei – es gibt keinen Weg zurück zum Status quo vor dem Ukraine Krieg. Russland hätte seine Nord-Stream-Pipelines nach Deutschland nicht sabotiert, wenn es erwägen würde, wieder Gas nach Europa zu liefern – und selbst wenn es so wäre, gibt es in Europa kein Interesse daran, wieder von russischer Energie abhängig zu werden. Europas künftiger Energiebedarf wird auf andere Weise gedeckt werden müssen.

Die Abkehr von der russischen Energie wird jedoch nicht einfach sein. Trotz des Rückgangs der Energieeinfuhren aus Russland seit der Invasion entfallen immer noch mehr als 40 % der europäischen Gasvorräte für diesen Winter auf Russland. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn Europa im nächsten Frühjahr noch über 50 Mrd. m3 Gasvorräte verfügt, muss es erneut eine sehr grosse Menge LNG anziehen, um die Zeit bis zum Frühjahr 2024 sicher zu überbrücken. Bei der derzeitigen Nachfrage würde dies bedeuten, dass Europa 30 % des weltweiten LNG-Marktes bzw. 35 % des weltweiten Spotmarktes an sich ziehen müsste, wenn man die bereits vertraglich vereinbarten Mengen herausrechnet.

Dies könnte eine grosse Aufgabe sein. Die LNG-Importe aus den USA nach Europa sind in diesem Jahr um 12 % gestiegen, aber diese Wachstumsrate kann nicht aufrechterhalten werden, da die Produktions- und Exportkapazitäten in den USA derzeit am Maximum sind. Selbst wenn mehr US-Exporte verfügbar wären, gibt es in Europa derzeit nur begrenzte Kapazitäten für die Verarbeitung von LNG-Importen. Es gibt zwar Pläne für den Bau einer neuen LNG-Verarbeitungsinfrastruktur in Europa, doch wird dies wahrscheinlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Hinzu kommt, dass ein Grossteil des in diesem Jahr nach Europa importierten LNG aus Russland kam, was im nächsten Jahr aufgrund der Sanktionen nicht mehr möglich sein wird. Die weltweite Nachfrage nach LNG dürfte im nächsten Jahr ebenfalls steigen, vor allem wenn China seine «Null-COVID»-Politik lockert. LNG ist bereits jetzt sehr teuer, und die Preise werden 2023 wahrscheinlich steigen, wenn die Nachfrage zunimmt.

Langfristig werden die erneuerbaren Energien die russischen Importe als Hauptlieferanten des europäischen Energiebedarfs ersetzen, aber diese Aussicht ist noch einige Jahre entfernt. Die Planung, Finanzierung und Errichtung von Wind- und Solarparks ist ein mehrjähriger Prozess. Die Installation der Leitungen und anderer Infrastrukturen, die es Haushalten und Unternehmen ermöglichen, Wind- und Solarenergie zu nutzen, kann sogar noch länger dauern. Das Angebot an Windturbinen und Solarmodulen ist auch aufgrund von Engpässen, die sich aus Chinas COVID-Sperrmassnahmen ergeben, sowie aufgrund von Verzögerungen bei der Genehmigung und Finanzierung begrenzt. Erneuerbare Energien sind die Zukunft, aber nicht die einzige Lösung zur Deckung des europäischen Energiebedarfs in der unmittelbaren Zukunft.

Das bedeutet, dass fossile Brennstoffe noch für einige Zeit eine wichtige Rolle spielen werden. Kurzfristig werden die Preise steigen und die Volatilität zunehmen, da die Länder versuchen, alternative Gasquellen zu finden. Dies wird mit enormen Kosten verbunden sein, da die Regierungen mit steigenden Preisen zu kämpfen haben und gleichzeitig die Energierechnungen ihrer Bevölkerung subventionieren. Wenn Länder Schwierigkeiten haben, den gesamten Gasbedarf zu decken, muss der Verbrauch möglicherweise gesenkt werden – aber es wird nicht einfach sein, die Menschen davon zu überzeugen, weniger Gas und Strom zu verbrauchen.

Wir glauben, dass viele europäische und andere Länder in diesem Jahr vor einer Rezession stehen, die grösstenteils durch die Energiekrise verursacht wird. Es ist also klar, dass der Einmarsch Russlands in der Ukraine noch längere Zeit auf den Energiemärkten nachhallen wird. Die Drohung, die Gasleitungen abzuschalten, mag eine Waffe gewesen sein, die Russland nur einmal abfeuern konnte, aber ihre makroökonomischen Auswirkungen werden noch jahrelang zu spüren sein.

Exit mobile version