Risikoassets wie Aktien, Unternehmensanleihen und Risikowährungen haben nach einigen Schwankungen infolge des Ausverkaufs an den Anleihemärkten in den letzten Wochen kräftig zugelegt. Zugleich sind auch die Rohstoffpreise gestiegen, während die implizite Volatilität an den Optionsmärkten gesunken ist (der Markt verlangt also eine niedrigere Prämie, um Anleger gegen eine ungünstige Performance abzusichern). Kann dieser nahezu perfekte Zustand anhalten – oder lauern dunkle Schatten über den Finanzmärkten?
Der zentrale Punkt einer jeden Anlagethese ist der Konjunkturzyklus, und ich glaube, dass sich die Weltwirtschaft erst am Anfang einer Expansionsphase befindet. In diesem Stadium hält die aufgestaute Nachfrage das Wachstum über seinem Potenzial, und da die Wirtschaft nicht voll ausgelastet ist, halten ungenutzte Ressourcen den Inflationsdruck in Schach (bei hoher Arbeitslosigkeit entsteht kein anhaltender Lohndruck). Wenn jedoch kein Inflationsdruck herrscht, werden die Zentralbanken an ihrer lockeren Geldpolitik festhalten. Die Währungshüter werden also weiterhin eine eher passive Zuschauerrolle spielen, was für Risikoassets ein günstiges Umfeld schafft.
Stillschweigende QE sorgt für zusätzliche Liquidität
Die US-Notenbank (Fed) verteilt aber noch weitere Gaben, indem sie die quantitative Lockerung (QE) stillschweigend ausweitet. Denn das US-Finanzministerium hat zuletzt nicht nur Schecks an die privaten Haushalte versandt, sondern auch monatlich 250 Milliarden Dollar von dem bei der Notenbank geparkten Bargeld abgezogen. Somit hat die Fed in den Monaten März und April das eigentliche QE-Programm im Volumen von 120 Milliarden Dollar pro Monat stillschweigend um weitere 500 Milliarden Dollar aufgestockt. Dies erklärt den starken Run auf die Risikomärkte. Denn die Anleger haben insgesamt mehr Cash als sie für wirklich überzeugende Assets ausgeben können.
Wo Licht ist, lauert aber auch Schatten. Ich glaube, dass die Konjunkturhilfen und das Wachstum im zweiten Quartal 2021 ihren Höhepunkt erreichen. Zugleich dürfte das US-Finanzministerium die stillschweigende Lockerung das ganze Quartal über fortführen. Allerdings wird der Bargeldbestand des Schatzamtes voraussichtlich gegen Jahresmitte zur Neige gehen, während die Auszahlungen aus den unter Trump und Biden geschnürten Konjunkturprogrammen irgendwann im zweiten Quartal ihren Höhepunkt erreichen. Die geld- und haushaltspolitischen Bedingungen dürften also kaum noch günstiger werden.
Ausserdem dürfte die damit verbundene Wachstumsbelebung in Kombination mit den fortschreitenden Impfkampagnen subtile Änderungen in der Tonart der Fed auslösen. Ich glaube, dass die amerikanischen Währungshüter ihre Botschaften gegen Jahresmitte allmählich in eine andere Richtung lenken und mitteilen werden, dass sie beginnen, über den Zeitpunkt und die Mechanismen für eine gewisse Drosselung des QE-Tempos nachzudenken. Ich erwarte zwar nicht, dass die Fed vor 2022 konkrete Schritte in diese Richtung unternimmt. Wenn die Notenbank jedoch über eine mögliche Straffung spricht, ist das für die Finanzmärkte fast dasselbe wie eine Straffung selbst.
Ein zusätzliches Problem im Zusammenhang mit der Haushaltspolitik sehe ich darin, dass Präsident Biden die groben Konturen seines nächsten und (hoffentlich letzten) Konjunkturpakets vorgelegt hat und sich die Diskussion darauf konzentrieren wird, wie das Paket finanziert werden soll. Die Demokraten haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie eine stärkere Progressivität des amerikanischen Sozialsystems für erforderlich halten, beispielsweise durch eine höhere Besteuerung von Dividenden und Kapitalgewinnen, die vor allem die wohlhabenden Schichten treffen würde. Historisch gesehen haben Aktien und andere Risikoassets durch eine Steuer auf Kapitalerträge nie an Attraktivität gewonnen – und das dürfte dieses Mal nicht anders sein. Ich gehe davon aus, dass die Diskussion um diesen Punkt über die Sommermonate zunehmend Fahrt aufnehmen wird.
Das Wachstum dürfte gegen Jahresmitte seinen Höhepunkt erreichen
Mit Blick auf die Wirtschaft erwarte ich, dass das globale Wachstum bald seinen Höhepunkt erreichen wird – wahrscheinlich gegen Mitte des Jahres. Wann genau der Peak erreicht wird, hängt vor allem vom Tempo ab, mit dem die Volkswirtschaften wieder hochgefahren werden. Mitte des Jahres dürften wir an einen „Sweet Spot“ kommen, an dem sich die Wachstumseffekte der Wiedereröffnung in den USA mit den Wachstumseffekten der verspäteten Wiedereröffnung in Europa überschneiden. Indes haben das Wachstum und die geldpolitische Stützung in der bevölkerungsreichsten Volkswirtschaft der Welt, China, schon lange ihren Höhepunkt überschritten. Daher dürfte das globale Wachstum bis Jahresmitte zunehmend durch die geldpolitische Straffung in China gedämpft werden. Dabei möchte ich jedoch betonen, dass das Erreichen der Wachstumsspitze meiner Meinung nach nicht zwangsläufig bedeutet, dass es danach bergab geht. Vielmehr gehe ich davon aus, dass sich das globale Wachstum im zweiten Halbjahr 2021 deutlich über seinem Potenzial einpendeln wird.
Weniger besorgt bin ich über die weithin erwartete Beschleunigung der Inflation. Erstens teile ich die Einschätzung der Fed, dass der sich abzeichnende Preisdruck auf einmalige Faktoren und Basiseffekte zurückzuführen ist. Ich sehe keine anhaltende Lohn-Preis-Spirale, die eine übermässige Reaktion der Zentralbank auslösen könnte. Auch für die Finanzmärkte erwarte ich in diesem Punkt keine Turbulenzen: Die Fed bleibt ruhig und hat sowohl ihre Erwartungen als auch ihre Massnahmen, mit denen sie auf die steigende Inflation reagieren will, proaktiv kommuniziert. Daher sollte der Markt keine Inflationsangst entwickeln, die eine Korrektur an den Finanzmärkten auslösen könnte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Makro-Umfeld für die Risikomärkte in den Sommermonaten günstig ist. Es ist nicht ganz klar, wann am Markt Sorgen um die politische Stützung und das Wachstum aufkommen werden. Ich vermute aber, dass sich die Sorgen durch das beschleunigte QE-Programm der Fed bis etwa zur Jahresmitte in Grenzen halten wird. Ziemlich sicher wird es bis dahin auch Rücksetzer geben. Aber ich glaube, in der Rückschau werden wir das weniger als Beginn einer Abwärtsspirale sondern eher als Chance werten. (T. Rowe Price/mc)