Von Laurence Taylor, Portfolio-Experte bei T. Rowe Price
Die US- und andere Zentralbanken stehen vor der komplexen Herausforderung, die extreme Inflation unter Kontrolle zu bekommen, ohne die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession zu stürzen. In derart unsicheren Zeiten wie diesen tendieren die Währungshüter eigentlich nicht zu einer starken Straffung ihrer Geldpolitik.
In der aktuellen Situation lässt ihnen der enorme Inflationsdruck jedoch wenig Spielraum, um einen schonenden Kurs zu fahren und das instabile Preisumfeld einfach zu tolerieren. Für Aktienanleger sind daher jetzt folgende Fragen wichtig: Wann und wie wird die Inflation ihren Höhepunkt erreichen – und wie wirkt sich ein potenzieller Peak auf zwei wesentliche Faktoren aus, die (neben den Bewertungen) die Richtung der Aktienmärkte bestimmen: Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinne.
Hinweise auf eine Nachfragevernichtung lassen Inflationspeak erwarten
Die starken Preissteigerungen schlagen allmählich auf die Verbraucherstimmung durch. Auch wenn die Privathaushalte nach zwei Jahren Entbehrungen in der Pandemie finanzielle Polster haben und das Beschäftigungsniveau nach wie vor hoch ist, gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Verbraucher ihr Ausgabeverhalten an die hohe Inflation anpassen. Eine solche „Nachfragevernichtung“ zählt jedoch, leider, zu den Mechanismen, die üblicherweise dafür sorgen, dass die Inflation einen Höhepunkt erreicht und im Zuge einer Wirtschaftsverlangsamung wieder abklingt. Dies wiederum ist entscheidend dafür, dass die Anleger wieder Vertrauen in die Aktienmärkte fassen, was in besonderem Masse für langfristige Wachstumsaktien gilt, die von den jüngsten Verkaufswellen besonders in die Tiefe gerissen wurden.
Auch die Unternehmen haben sich auf die erhöhte Inflation eingestellt, da sich der wirtschaftliche Ausblick eintrübt. Ausgelöst wurde der starke Inflationsschub unter anderem durch steigende Löhne, da eine starke Wirtschaft auf einen angespannten Arbeitsmarkt traf und die Unternehmen in einen intensiven Wettbewerb um Arbeitskräfte traten. Viele Unternehmen wie Amazon oder Uber haben zuletzt signalisiert, dass sie die veränderten wirtschaftlichen Aussichten und die Notwendigkeit einer stärkeren Kostenkontrolle erkannt haben. Daher sind im zweiten Halbjahr 2022 eine Reihe wichtiger Daten zu den Inflationsaussichten zu erwarten. In unseren Gesprächen mit den Unternehmen wird mittlerweile deutlich, dass die Lohnerwartungen der Arbeitnehmer wieder nachlassen – was die Inflation ebenfalls dämpfen könnte.
Die Verlangsamung der Wirtschaft, die Vernichtung von Kapital durch die jüngste Verkaufswelle an den Finanzmärkten und das Abklingen der Pandemie dürften dazu beitragen, die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt, die gestörten Angebotsbedingungen und den entsprechenden Inflationsdruck zu verringern. Prognosen in Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem die Inflation wieder nachlassen wird, sind allerdings nach wie vor schwierig, da die höheren Rohstoffpreise zu den unmittelbaren Inflationsursachen zählen. Die Vernichtung der Nachfrage und die Anpassung an die Erwartungen der Beschäftigten werden einige Zeit brauchen, um ihre deflationären Kräfte im System zu entfalten.
Wie lange es dauert, bis die Inflation ihren Höhepunkt erreicht, ist schwer zu sagen, und es wird zwischen den einzelnen Ländern erhebliche Unterschiede geben. Doch scheint der Höhepunkt näherzurücken. Ebenso unsicher ist, wie stark sich die Wirtschaftstätigkeit angesichts der strafferen Geldpolitik und der hohen Preise verlangsamen wird. Dennoch schätzen wir den Ausblick wieder optimistischer ein – gestützt auf starke Unternehmensbilanzen, das Fehlen systemischer Risiken und die Überzeugung, dass die US-Notenbank alles versuchen wird, um eine tiefe Rezession zu vermeiden.
Die Bewertungen und unternehmensspezifische Faktoren stimmen uns optimistischer
Ein potenzieller Höhepunkt der Inflationserwartungen träfe auf ein Umfeld, in dem die Aktienmärkte nach einer massiven Verkaufswelle attraktiver – und teilweise extrem niedrig – bewertet sind. Wir schätzen den Ausblick für die Aktienmärkte daher insgesamt wieder optimistischer ein als in den letzten Monaten, gestützt auf unternehmensspezifische Faktoren und makroökonomische Daten.
Nach wie vor zählt für die Finanzmärkte der Ölpreis zu den ausschlaggebenden Treibern. Dieser ist von den Höchstständen im Juni wieder gesunken. Dabei lässt die Terminkurve eine Normalisierung bei etwa 80 US-Dollar pro Barrel bis Mitte 2023 und fast bei 80 US-Dollar bis Mitte 2024 erwarten. Dennoch ist der Weg zu niedrigeren Ölpreisen herausfordernd und nach wie vor unsicher. Hinzu kommt die Notwendigkeit, die Energieversorgung strukturell zu verbessern und die europäischen Versorgungswege von Russland wegzuverlagern – und gleichzeitig die „grüne Transformation“ voranzubringen. Ein Ende des russisch-ukrainischen Konflikts wäre in vielerlei Hinsicht wünschenswert, doch ist die Lage nach wie vor unberechenbar. Ungeachtet dessen haben sich viele Rohstoffpreise bereits von ihren jüngsten Höchstständen erholt – ein Trend, der an den Finanzmärkten für Erleichterung sorgen dürfte, wenn er denn anhält.
Wachstumsaktien vor potenzieller Trendwende
Sobald die Inflation ihren Höhepunkt erreicht, könnte dies unserer Meinung nach ein gutes Signal für Wachstumsanleger sein – vor allem für Anleger in Unternehmen, die in der Lage sind, ihre Erträge in der nächsten Phase des Aktienzyklus deutlich zu steigern. Genau in solchen Unternehmen ist die Global Focused Growth Equity-Strategie investiert. Da sich die meisten Anleger jedoch nach wie vor extrem defensiv positionieren und sich auf Energiewerte fokussieren, kann es eine Weile dauern, bis sich diese Strategie auszahlt.
Mit einem Verlust von -32,1 % im MSCI ACWI Growth-Index seit Jahresstart (gegenüber -18,6 % im MSCI ACWI Value-Index ) haben sich Wachstumstitel seit Jahresbeginn tatsächlich schlechter entwickelt als Substanztitel.1 Positiv ist, dass die Kapitalmärkte bereits eine moderate Rezession einpreisen. Die jüngste Verkaufswelle hat Wachstumsinvestoren vor grosse Herausforderungen gestellt. Jedoch glauben wir, dass der Kapitalabzug nun weitgehend abgeschlossen ist.
Auf kurze Sicht ist der Ausblick für die globalen Aktienmärkte immer noch äusserst unsicher, und weitere Rücksetzer sind möglich. Letztlich gibt es niemanden, der „mit der Glocke läutet“, um die Talsohle des Marktes auszurufen. Wer künftig Renditen erzielen will, ist aber nicht gut beraten, einfach abzuwarten, bis sich alle dunklen Wolken verzogen haben. Auch wenn das Umfeld kurzfristig unsicher bleibt, schätzen wir den Ausblick auf mittlere Sicht wieder optimistischer ein – gestützt auf eine nachlassende Inflation, attraktive Bewertungen und die Aussicht auf eine weniger strenge geldpolitische Straffung im Jahr 2023. (T. Rowe Price/mc/ps)