Trügerische Beruhigung im Wohnungsbau
Zürich – In den vergangenen Jahren hat sich das Schweizer Wohnungsangebot stark ausgeweitet. Wurde die Bautätigkeit bis 2013 von einer zuwanderungsbedingt steigenden Nachfrage angekurbelt, hat sie sich in der Folge zunehmend von der Nachfrage entkoppelt. Mangels attraktiver Anlagealternativen in einem von Negativzinsen geprägten Umfeld blieben Renditeliegenschaften trotz steigender Leerstandsrisiken und sinkender Anfangsrenditen stark gefragt. Dies trieb den Bau von Mietwohnungen weiter an. Dagegen ist die Bautätigkeit bei Wohneigentum schon länger rückläufig, wie das Global CIO Office der Grossbank Credit Suisse am Montag mitteilte.
Weniger Wohnungen baubewilligt …
In den letzten Quartalen hat die Anzahl der baubewilligten Wohnungen jedoch deutlich abgenommen. Insgesamt wurden in den vergangenen zwölf Monaten gegenüber der Vorjahresperiode 14.7% weniger Wohnungen in Mehrfamilienhäusern (Miet- und Eigentumswohnungen) baubewilligt. Dies verleitet zum Schluss, dass der Wohnungsbau seinen Höhepunkt überschritten hat und nun eine langjährige Korrekturphase folgen könnte.
… trotz stabiler Entwicklung der Baugesuche
Eine genauere Betrachtung der Projekte, für die bereits ein Baugesuch eingereicht, aber noch nicht zwingend bewilligt wurde, lässt jedoch Zweifel an diesem Schluss aufkommen. Die Summe der gemäss Baugesuchen projektierten Wohnungen lag in den vergangenen zwölf Monaten nur leicht tiefer als in der Vorjahresperiode (–3.2%). Dies bedeutet, dass eine ungewöhnlich grosse Lücke zwischen der Anzahl eingereichter und der Anzahl bewilligter Baugesuche entstanden ist.
Zahlreiche Grossprojekte in den Agglomerationen
Diese Lücke ist in einigen mehrheitlich urban geprägten Wirtschaftsregionen wie Genf, Luzern und Zürich-Stadt besonders ausgeprägt. Diese drei Regionen alleine vermögen über die Hälfte der gegenwärtigen Differenz von 11’100 Wohnungen zwischen der Gesamtzahl zur Prüfung eingereichter und den bereits baubewilligten Wohnungen zu erklären. Auffällig ist ausserdem die gegenwärtig sehr grosse Zahl an Grossprojekten. Über 6400 der in den vergangenen zwölf Monaten geplanten 46’700 Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern sollen in Grossüberbauungen mit über 200 Wohneinheiten entstehen. Dies entspricht einem Anteil der Grossprojekte von 13.7% – mehr als je zuvor in den vergangenen 25 Jahren.
Lange Realisierungszeiten
Diese Grossprojekte dürften einen entscheidenden Einfluss auf das gegenwärtig zu beobachtende Auseinanderklaffen von eingereichten und bewilligten Baugesuchen ausüben. Aufgrund ihrer Komplexität dauert bei solchen Projekten das Bewilligungsverfahren zumeist deutlich länger als bei kleinen und mittelgrossen Projekten. Dies gilt gerade auch dann, wenn sie im dicht bebauten Agglomerationsraum realisiert werden sollen, wo oft planerische Vorgaben und divergierende Interessen von Behörden, Bauherren, Landschaftsschützern und Anwohnern aufeinandertreffen. Für den Bauherrn bieten grosse Arealüberbauungen neben diesen Risiken jedoch auch Chancen: Gelingt es ihm, einen Standort massgeblich aufzuwerten – etwa durch komplementäre Parterrenutzungen und wertvolle Frei- bzw. Erholungsflächen – kann dies zu nachhaltigen Wertsteigerungen führen.
Jedes zweite Grossprojekt in der Agglomeration Zürich
Unter den grössten zehn Wohnbauprojekten der vergangenen zwei Jahre sollen sechs in der Agglomeration Zürich realisiert werden. Die restlichen verteilen sich auf die Agglomerationen Genf und Luzern. Insgesamt ist in den zehn Projekten der Bau von über 5100 Wohnungen vorgesehen. Soweit die Nutzung bereits bekannt ist, handelt es sich überwiegend um Mietwohnungen. Als Bauherren treten hauptsächlich institutionelle Investoren und Immobilienentwickler auf. Sieben der zehn Projekte wurden noch nicht baubewilligt. Trotzdem ist davon auszugehen, dass sie mehrheitlich realisiert werden, auch wenn bis zum Erstbezug noch Jahre vergehen könnten. So vergingen etwa beim Projekt Glasi Bülach von der Einreichung des Baugesuchs bis zur Bewilligung 15 Monate. Das Baugesuch für das Projekt Stockenhof wurde von der Gemeinde gar abgelehnt, wird vom Bauherrn jedoch weiterverfolgt. Doch auch zwischen Erteilung der Baubewilligung und dem Baubeginn kann bei Grossprojekten viel Zeit verstreichen. Dies zeichnet sich beispielsweise bei der Wohnsiedlung Leutschenbach in Zürich ab, die von der Stadt Zürich realisiert wird und für die zuerst die Zustimmung der Stimmbürger eingeholt werden musste. Dass von Investoren bei Grossprojekten im urbanen Raum viel Geduld gefordert wird, zeigt auch das Beispiel der Überbauung Tivoli Garten in Spreitenbach. Diesem Projekt, das neben zwei Wohnhochhäusern auch einen Baumarkt umfasst, ging ein rund fünfjähriger Disput um das Mobilitätskonzept voraus.
Fazit: Ende des Wohnungsbaus nicht voreilig verkünden
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der jüngste Rückgang der Baubewilligungen bei Mehrfamilienhäusern nicht als Trendwende im Wohnungsbau gedeutet werden sollte. Zwar sind die Risiken im Mietwohnungsmarkt ausserhalb der attraktivsten Standorte gestiegen. Das Negativzinsumfeld, dessen Ende zurzeit kaum absehbar ist, wird jedoch dafür sorgen, dass Investoren weiterhin bereit sind, gewisse Risiken in Kauf zu nehmen. Ausserdem sind gerade in den grossen Agglomerationen wie Zürich und Genf, wo die Wohnungsnachfrage ungebrochen hoch ist, zurzeit viele Grossprojekte in der Pipeline, deren Baubewilligungen noch ausstehen. Diese komplexen Projekte haben alle ihre eigene Geschichte, und von der Planung bis zum Erstbezug vergehen viele Jahre. Werden diese Gesuche mehrheitlich bewilligt, wovon ausgegangen werden kann, dürfte der Mietwohnungsbau nur leicht abflachen und noch längere Zeit eine grosse Zahl von Mietwohnungen auf den Markt bringen. (Credit Suisse/mc/ps)