Umverteilung kann wirtschaftliches Wachstum fördern

Umverteilung kann wirtschaftliches Wachstum fördern

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Bremen und der ETH Zürich untersuchte Jan Lorenz den Effekt von Umverteilung gesellschaftlicher Vermögenswerte auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum. (Foto: Ebba Schröder / Jacobs University)

Bremen – Die staatliche Umverteilung von Reich zu Arm kann das wirtschaftliche Wachstum einer Gesellschaft nachhaltig fördern. Das hat eine theoretische Modellberechnung der Jacobs University in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen und der ETH Zürich ergeben. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass eine Vermögensumverteilung nicht allein aus sozialen oder sicherheitspolitischen Erwägungen sinnvoll ist, sondern auch klare ökonomische Vorteile mit sich bringen kann.

Grundlage der Ergebnisse sind eine mathematische Analyse und Computersimulationen, die den sogenannten Portfolio-Effekt auf den Bereich gesellschaftlicher Entwicklungen anwenden. Der Begriff Portfolio-Effekt stammt aus der Finanzwelt und beschreibt das Phänomen, dass ein breit gestreutes Aktien-Portfolio langfristig stabilere und höhere Renditen bringt als die Investition in einige wenige Wertpapiere, selbst wenn diese am erfolgversprechendsten erscheinen. „Denselben Effekt kann man auch bei sozialen Entwicklungen beobachten“, erklärt Jan Lorenz, Wissenschaftler an der Jacobs University und Erstautor der Studie. Der Mathematiker beschäftigt sich seit Langem mit sozialwissenschaftlichen Themen und hat für die aktuelle Untersuchung mit dem Wirtschaftswissenschaftler Fabian Paetzel und dem Systemdynamiker Frank Schweitzer zusammengearbeitet.

Umverteilung senkt Risiko, sich auf immer weniger Leistungsträger für Innovationen zu verlassen
Da in modernen Gesellschaften das Humankapital, also die Kompetenzen und Fähigkeiten der Bürger, eine besondere Rolle für die Innovationskraft und damit das wirtschaftliche Wachstum spielt, haben sich die Wissenschaftler in ihren Berechnungen auf diesen Faktoren konzentriert. Stellt man sich das Individuum und seine Fähigkeiten als einzelne Aktie vor, dann ist die Gesellschaft das gesamte Portfolio. Durch Umverteilung sinke das Risiko, dass sich die Gesellschaft zunehmend auf immer weniger Leistungsträger für Innovationen verlässt, so Lorenz. „Wir haben das mit drei verschiedenen Besteuerungsmodellen durchgerechnet, bei denen die Steuereinnahmen in Humankapital reinvestiert werden. Das Erstaunliche ist: Das radikalste Modell, bei dem die Bürger alles oberhalb eines bestimmten steuerfreien Einkommen abgeben müssen, hat zu den höchsten Wachstumsraten geführt.“

Umverteilung könnte Wachstum fördern
Dem Jacobs-Wissenschaftler ist bewusst, dass die meisten Menschen intuitiv zu einer genau entgegengesetzten Strategie greifen würden. Die Gesellschaft neige dazu, ihr Kapital in einige wenige, besonders leistungsstarke Individuen, Unternehmen oder eben Wertpapiere zu investieren, so Lorenz. Wirtschaftlich sinnvoll sei aber das Gegenteil: „Die meisten ökonomischen Analysen betrachten den Prozess der Umverteilung als unvermeidbares Übel, das zwar das Wachstum hemme, aber nun einmal notwendig sei, um Gerechtigkeit herzustellen und soziale Unruhen zu vermeiden. Wir haben keine Studie gefunden, die sich mit diesen positiven ökonomischen Konsequenzen von Umverteilung beschäftigt hat“, betont Lorenz. „Unsere Berechnungen zeigen nun: Umverteilung könnte Wachstum fördern. Es gäbe für Regierungen also nicht nur altruistische, sondern ganz pragmatische volkswirtschaftliche Gründe, die Vermögenswerte einer Gesellschaft immer wieder umzuverteilen.“

Die theoretischen Erkenntnisse will Lorenz nun in Verhaltensexperimenten weiterverfolgen. Gemeinsam mit den Universitäten Bremen und Oldenburg ist eine Reihe von Versuchen geplant, in denen mit Probanden spielerisch gesellschaftliche Verhaltensweisen simuliert werden: „Unser jetziges mathematisches Modell kann die individuellen Entscheidungen der Bürger natürlich nicht berücksichtigen. Daher müssen wir uns nun anschauen, wie die Menschen im Einzelfall tatsächlich reagieren.“ (Jacoby University Bremen/mc/pg)

Schreibe einen Kommentar