Nicht alle Jugendliche sind auf der Suche von Herausforderungen wie Kletterwände. (Bild: CS)
Zürich – Die Schweizer Jugendlichen zeichnen sich in der Praxis zwar durch eine hohe Arbeitsmoral aus, gemäss dem Credit Suisse Jugendbarometer legen sich aber keinen speziellen Wert auf eine berufliche oder öffentliche Karriere. Die Life-Work-Balance hat an Bedeutung gewonnen. Eine Mehrheit der Jugendlichen glaubt an eine höhere Macht und gehört auch den Landeskirchen an. Aber sie fühlen sich ihrer Religionsgemeinschaft nicht mehr zugehörig.
Ein friedliches Miteinander der Religionen in der Schweiz ist nach Ansicht von drei Vierteln der Jugendlichen möglich (76 Prozent). Fast gleich viele billigen den religiösen Minderheiten die Glaubensfreiheit zu, die Umsetzung im Alltag hat allerdings im Einklang mit der nationalen Gesetzgebung zu geschehen (70 Prozent). Mit dieser im Grundsatz toleranten Einstellung einher geht die Erwartung, dass sich die religiösen Minderheiten den Landessitten anpassen (59 Prozent). Das zum zweiten Male erhobene Credit Suisse Jugendbarometer hat als besonderen Untersuchungsschwerpunkt die Religion gesetzt, nachdem es 2010 die neuen Medien gewesen sind. Die Haltung der in der Schweiz lebenden Jugendlichen in religiösen Fragen ist komplex und ambivalent und drückt insbesondere ein Unbehagen gegenüber den Landeskirchen aus.
Innerlich aus der Kirche ausgetreten
Drei Viertel der 16- bis 25-Jährigen in der Schweiz geben an, einer christlichen Glaubensgemeinschaft anzugehören (73 Prozent), namentlich der römisch-katholischen (39 Prozent) und der evangelisch-reformierten (27 Prozent), die in der Gesamtbevölkerung jeweils rund 40 Prozent ausmachen. Dieser trotz steuerlicher Auswirkungen sehr hohen Quote steht eine tiefgreifende innere Emigration gegenüber. Lediglich gut ein Fünftel der Jugendlichen fühlt sich nämlich einer Religionsgemeinschaft wirklich zugehörig (22 Prozent), dreimal mehr verneinen dies ausdrücklich (68 Prozent). Dieser Wert ist sogar noch deutlich tiefer als jener der Zugehörigkeit zur europäischen Gesellschaft (37 Prozent).
Deshalb kann es auch nicht erstaunen, dass nur etwas mehr als ein Viertel der Jugendlichen mehrmals pro Jahr in die Kirche gehen oder eine andere Glaubensstätte aufsuchen (27 Prozent). Der Hauptharst macht dies lediglich bei speziellen Gelegenheiten wie Taufen, Hochzeiten oder Begräbnissen (56 Prozent). Umgekehrt schliesst allerdings auch nur ein Siebtel einen Kirchenbesuch kategorisch aus (15 Prozent).
Vier Fünftel gegen Gewalt in Religionskonflikten
Dass es eine höhere spirituelle Macht über der Menschheit gibt, nehmen etwas mehr als die Hälfte der Jugendlichen an (58 Prozent), dass dies Gott ist, glauben immerhin noch fast die Hälfte (43 Prozent). Von diesen wiederum sind beinahe drei Viertel davon überzeugt, dass alle Religionsgemeinschaften letztlich an ein und denselben Gott glauben (31 Prozent), woraus sich die bereits festgestellte Toleranz in Glaubensfragen fast zwingend ableitet. Zwei Drittel zeigen Verständnis dafür, dass man für die Glaubensfreiheit kämpft (63 Prozent). In religiösen Konflikten darf nach Meinung von nicht weniger als vier Fünfteln der Jugendlichen keine Gewalt angewendet werden (81 Prozent). Allerdings kann sich selbst in der Schweiz ein knappes Zehntel der Jugendlichen doch mit dem Einsatz von Gewalt in Religionskonflikten einverstanden erklären (9 Prozent), was ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial darstellt. Eine klare Mehrheit der Jugendlichen geht davon aus, dass die Konflikte zwischen den Religionsgemeinschaften zunehmen werden (61 Prozent), eine erstaunlich hohe Anzahl hat solche Konflikte schon im eigenen Umfeld erlebt (27 Prozent).
Ausländerfragen bereiten Sorge
Am meisten Sorgen bereiten den Jugendlichen alle Fragen rund um die Ausländer (45 Prozent), deren Anteil in der Schweiz bei 22 Prozent liegt. Dies mag vor allem mit der Diskussion um die Personenfreizügigkeit mit den Ländern der Europäischen Union zusammenhängen, die zu einem weiteren Ansteigen des Ausländeranteils in der Bevölkerung und zu Integrationsproblemen führt. Zusätzlich stellen für die Jugendlichen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (23 Prozent) sowie Flüchtlings- und Asylfragen (22 Prozent) Probleme dar. Eher weniger als erwartet hingegen werden von den Jugendlichen die Fragen rund um Gewalt und Kriminalität (18 Prozent) problematisiert, die von der Gesamtbevölkerung in hohem Masse den Ausländern angelastet werden. Das in einem anderen Zusammenhang befragte Ausländerstimmrecht wird von 29 Prozent befürwortet. Das ist ein höherer Wert als beispielsweise bei der Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre (23 Prozent), aber tiefer als die Zustimmung zu einer allfälligen Einführung des Stimmzwangs (38 Prozent).
Umweltschutz gewinnt an Bedeutung
Klar an Bedeutung zugenommen haben für die Jugendlichen die Herausforderungen rund um den Umweltschutz (34 Prozent, +5 Prozent) und die Kernenergie (27 Prozent, +14 Prozent). Dies korrespondiert mit der Frage nach den für einen persönlich wichtigen Dingen, wo bei den Jugendlichen das Schonen der Umwelt an der Spitze steht (58 Prozent, +5 Prozent). Allerdings schwingen vielleicht auch gewisse finanzielle Erwägungen mit. Der steigende Benzin- und Erdölpreis bereitet jedenfalls einer zunehmenden Anzahl Jugendlicher erhebliches Kopfzerbrechen (19 Prozent, + 6 Prozent).
Ein guter Chef
Wie sieht für die 16- bis 25-Jährigen der ideale Arbeitgeber aus? Die grosse Mehrheit möchte entweder bei einem familiären KMU (77 Prozent) oder dann bei einem international agierenden Grossunternehmen (67 Prozent) arbeiten, wobei 2010 die Reihenfolge genau umgekehrt gewesen ist. Deutlich weniger attraktiv sind die öffentliche Hand (53 Prozent) sowie ausschliesslich in der Schweiz tätige Grossunternehmen (52 Prozent), die sich aber immer noch über der 50-Prozent-Marke befinden. Noch etwas dahinter liegen staatsnahe Betriebe wie Post oder SBB (47 Prozent) beziehungsweise wohltätige Institutionen beziehungsweise NGO (41 Prozent).
Entscheidend für das persönliche Wohlbefinden ist aber offensichtlich der direkte Vorgesetzte. Die Jugendlichen wünschen sich einen guten Chef (98 Prozent). Grosszügig und tolerant gegenüber seinen Mitarbeitern soll der Arbeitgeber sein (98 Prozent), modern und kreativ eingestellt (87 Prozent), moderne Arbeitsplätze offerieren (86 Prozent) sowie Weiterbildungsmöglichkeiten und Auslandaufenthalte (89 Prozent). Dass er umweltfreundlich eingestellt ist (78 Prozent) und Frauen Karrierechancen bietet (73 Prozent) ist ebenfalls vielen Jugendlichen wichtig. Soziales Engagement (66 Prozent) sowie Kultur- und Sportsponsoring (48 Prozent) hingegen sind für die Beurteilung des eigenen Arbeitgebers bereits etwas weniger bedeutsam.
Ein spannender Beruf
Letztlich aber geht es den Jugendlichen schlicht darum, einen spannenden Beruf zu haben (85 Prozent) und selbst gute Aus- und Weiterbildung zu erhalten (77 Prozent). Diese Weiterbildung dient jedoch vor allem der persönlichen Befriedigung, wirklich Karriere machen wollen erstaunlich wenige Jugendliche (40 Prozent), und öffentliche Anerkennung scheint für sie kein erstrebenswertes Ziel zu sein (23 Prozent).
Für das eigene Wohlbefinden sind also nicht die berufliche oder die öffentliche Karriere entscheidend, sondern das persönliche Umfeld. Freunde zu haben, auf die man sich verlassen kann (95 Prozent), ist das oberste Lebensziel, gefolgt von einem guten Familienleben beziehungsweise einer guten Partnerschaft (89 Prozent), die vor allem auf Ehrlichkeit (89 Prozent) und Treue (87 Prozent) beruhen. Erst danach folgen der spannende Beruf und ein genussreiches Leben (je 85 Prozent) sowie das Respektiertwerden als Persönlichkeit (80 Prozent). Die prozentualen Unterschiede sind zwar äusserst gering und liegen teilweise innerhalb des Stichprobenfehlers, aber an der Reihenfolge hat sich bei diesen sieben Positionen gegenüber dem Vorjahr nichts verändert. Einzig das verantwortungsbewusste Leben (78 Prozent) hat sich leicht vor die gute Aus- und Weiterbildung (77 Prozent) geschoben.
Junge stehen auf Gratiszeitungen, Fernsehen und Radio
Betrachten wir das Kommunikationsverhalten der Schweizer Jugendlichen, so sind die Gratiszeitungen (74 Prozent) und das Fernsehen (71 Prozent) vor den Internet-Newsseiten (57 Prozent) und dem Radio (52 Prozent) für sie als Informationsquellen am wichtigsten.
Stellen wir hier für einmal den internationalen Vergleich an, so fällt auf, dass das Internet in der Schweiz immer noch deutlich weniger als Informationskanal als in Brasilien und in den USA angesehen wird. Zwar sind mittlerweile 87 Prozent der Jugendlichen in der Schweiz bei Facebook als Mitglied angemeldet, aber als bedeutende Quelle betrachten solche sozialen Netzwerke nur 32 Prozent, während es in den USA (51 Prozent) und in Brasilien (67 Prozent) wesentlich mehr sind. Einzig bei den Newsapps auf Smartphone liegen die Schweizer (29 Prozent) vor den USA (25 Prozent) und Brasilien (13 Prozent). Umgekehrt setzen die Schweizer nicht nur stärker als die Amerikaner und Brasilianer auf Gratiszeitungen, sondern auch, auf bescheidenerem Niveau, auf die bezahlten Tageszeitungen (35 Prozent) und die Wochenzeitungen (23 Prozent).
Auch an Politik und Wirtschaft interessiert
Drei Viertel der Schweizer informieren sich mindestens einmal am Tag über das aktuelle Geschehen (77 Prozent). Damit sind sie (leicht) informationshungriger als die Brasilianer (76 Prozent) und die Amerikaner (64 Prozent). Musik steht in allen drei Ländern ganz oben an der Rangliste. 57 Prozent der Jugendlichen in der Schweiz interessieren sich dafür. Dieser Wert wird nur noch vom Wetter (61 Prozent) übertroffen. Neben dem Wetter liegen die Schweizer Interessen auch bezüglich regionalen Aktivitäten (57 Prozent), Sport (48 Prozent), Politik (47 Prozent) und Wirtschaft (39 Prozent) im internationalen Vergleich an der Spitze.
Geld für Ferien reut Schweizer nicht
Was aber fangen die Schweizer Jugendlichen mit geschenkten 10 000 Franken an? 5345 Franken davon würden sie in irgendeiner Form sparen, 4655 Franken hingegen ausgeben. Letzteres in erster Linie für Ferien (1439 CHF), dann aber auch für Familie (712 CHF), Kleider und Schmuck (682 CHF) sowie Auto (678 CHF), aber auch – bereits mit Abstand – Spenden (355 CHF), Geschenke (343 CHF), Sport (234) und Kosmetik/Wellness (202 CHF). Diese relative Konsumfreudigkeit korrespondiert mit der eher zuversichtlichen Einschätzung der Situation der Gesellschaft (31 Prozent gegenüber 21 Prozent Pessimisten) und vor allem der eigenen Zukunft (64 Prozent).
Die sieben Haupttrends
Und zum Schluss die sieben wichtigsten Trends bei den Jugendlichen in der Schweiz: Freunde treffen (96 Prozent), SMS (92 Prozent), E-Mail (88 Prozent), Ferien im Ausland (85 Prozent), neue Leute kennenlernen (83 Prozent), Facebook (81 Prozent) sowie sich selbst sein (81 Prozent). Gegenüber dem Vorjahr ist das Fernsehen leicht zurückgefallen (von 80 auf 76 Prozent), während die italienischen Speisen wie Pizza und Pasta (89 Prozent) nicht mehr befragt wurden. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass sie den Jugendlichen in der Schweiz nicht mehr munden. (CS/mc/ps)
Zum Thema
Das 2. Credit Suisse Jugendbarometer wurde in der Schweiz vom Forschungsinstitut gfs.bern zwischen März und Mai 2011 bei 1012 Einwohnern im Alter zwischen 16 und 25 Jahren online erhoben.
Videobeitrag «Die Schweizer Jugend ist berechenbar und langweilig» – Interview mit Prof. Kurt Imhof
Quelle: Credit Suisse Jugendbarometer