AKW Leibstadt.
Bern – Die Schweiz soll sich trotz Energiewende auch in Zukunft die Atomkraft als Option offenhalten. Das empfehlen die Schweizer Akademien der Wissenschaften, die damit dem vom Bundesrat beschlossenen Atomausstieg keinen vollen Rückhalt geben. In ihrer Analyse der zukünftigen Stromversorgung der Schweiz unterstützen die Akademien zwar im Grundsatz die Energiestrategie des Bundesrates. Im wichtigsten Punkt, dem Atomausstieg, sind sich die Akademien der Naturwissenschaften (SCNAT), der Technischen Wissenschaften (SATW) und der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) aber nicht einig, wie sie am Donnerstag in Bern mitteilten.
Es bestünden unterschiedliche Ansichten, «ob die Kernkraft auch längerfristig genutzt werden soll», sagte der Projektleiter Eduard Kiener. Er war zwischen 1977 und 2001 Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und äusserte sich schon zuvor kritisch zu den Diskussionen um den Atomausstieg. Die Nuklearforschung soll auf jeden Fall fortgeführt werden – und zwar nicht nur die Sicherheits- und Endlagerforschung, sondern auch die nukleare Forschung, die neuartige Reaktoren hervorbringen könnte. Niemand wisse, was die Zukunft bringe, sagte Heinz Gutscher, der Präsident der Akademien.
«Gewaltige Herausforderung»
Mit ihrer Studie, die 2009 und damit vor der Katastrophe im AKW in Fukushima begann, wollen die Akademien aufzeigen, dass der Umbau des Stromsystems «eine gewaltige wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Herausforderung» darstellt, wie Kiener sagte. «Die Energiewende muss gesellschaftlich getragen werden.»
Beim praktisch beschlossenen Atomausstieg falle deren Anteil – heute rund 38% – weg und müsse kompensiert werden, stellte er fest. Ohne eine Dämpfung der Stromnachfrage lässt sich das aus Sicht der Akademien nicht bewerkstelligen. Deshalb begrüssen die Akademien das Ziel des Bundesrates, die Energieeffizienz zu fördern.
Mehr Optimismus als der Bundesrat
Zwar sehen die Akademien eher grössere Hürden bei der Energiewende als der Bundesrat, bei der Nachfrageentwicklung aber geben sie sich etwas optimistischer. Der steigende Strompreis – rund 50% bis 2050 – sollte die Leute alleine dazu erziehen, effizienter mit Energie umzugehen. Dennoch braucht es Massnahmen wie Lenkungsabgaben, damit 2050 leicht weniger Energie verbraucht wird als heute.
So sehen die Akademien es etwa als problematisch an, dass die Energiekonzerne heute kaum ein Interesse an mehr Energieeffizienz haben dürften. Denn: Mehr Stromverbrauch heisst für sie mehr Gewinn. Dieser Zusammenhang sollte mit neuen Geschäftsmodellen entkoppelt werden, fordern die Akademien.
Grosse Hoffnung in Solarenergie
Die Zukunft sehen die Wissenschaftsvertreter wie der Bundesrat in den Erneuerbaren, vor allem in der Photovoltaik. Deren Potenzial schätzen sie höher ein als jenes der Wasser- und Windkraft sowie der Geothermie. Auch wenn die Solarenergie derzeit sehr teuer sei, es sei die Schiene, die verfolgt werden müsse, sagte Kiener.
Weil der Strom aus Photovoltaik oft dann verstärkt anfällt, wenn er nicht gebraucht wird, müssen neue Speichermöglichkeiten wie Pumpspeicherkraftwerke geschaffen und das Stromnetz ausgebaut werden. Und das werde teuer, sagte Irene Aegerter von der SATW. Für den Ausbau des Netzes, der schon heute überfällig sei, reichten die Schätzungen allein von 12 bis 42 Mrd CHF.
Eher keine Gaskraftwerke
Zur Versorgungssicherheit fordern die Akademien auch eine Anbindung an das europäische Netz. Ein Stromabkommen mit der EU sei absolut unabdingbar, sagte Kiener. Aus politischen Gründen – der Bundesrat will im Vertrag auch grundsätzliche Fragen zum Verhältnis zur EU regeln – harzt es dort indes mit den Verhandlungen.
Verzichten möchten die Akademien auf neue fossile Kraftwerke in der Schweiz. Sollten die Gaskraftwerke unumgänglich sein – wegen der Netzstabilität -, fordert die Wissenschaft, deren CO2-Emissionen wegen der Klimaziele vollständig zu kompensieren. Der Bundesrat zieht Gaskraftwerke in Betracht.
Der Bundesrat hatte nach der Atomkatastrophe in Japan im März 2011 den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Eckwerte der künftigen Energiestrategie hat er bereits bekannt gegeben, die genauen Details sollen im Herbst folgen. (awp/mc/ps)