Frankfurt – Der Jubilar ist äusserst lebendig: 30 Jahre alt wird der Deutsche Aktienindex (DAX) dieser Tage. Neben der Wertentwicklung der vergangenen Jahre, die Ein- und Aussteiger, Erfolgsgeschichten und Trauerspiele als ein Blick in den Rückspiegel erscheint jedoch der Fokus auf die kommenden Jahre. Wie geht es weiter mit dem wichtigsten deutschen Börsenbarometer?
Glaubt man den Pessimisten, dann gleicht der Blick auf den DAX einem Blick in die graue Vorzeit. Das Gros der Unternehmen habe seine beste Zeit hinter sich, Namen wie die Deutsche Bank, Volkswagen oder ThyssenKrupp beschäftigten sich vornehmlich damit, die Fehler der Vergangenheit zu verarbeiten als damit, ihr Geschäft fit für die kommenden Jahre und Jahrzehnte zu machen. Der DAX, einst prall gefüllt mit der Spitze deutscher Innovationskraft, ist 30 Jahre nach seiner Gründung nur noch ein Abbild vergangenen Glanzes. Ein Index von gestern.
Die Kritik ist nachvollziehbar, aber stark überzeichnet. Denn ganz nüchtern betrachtet bildet der DAX die grössten in Deutschland gelisteten Aktiengesellschaften ab und ist damit ein Spiegel der deutschen Unternehmenslandschaft. Tatsache ist, dass der Schwerpunkt und die wesentliche Stärke der deutschen Wirtschaft in dem Bereich liegen, der als Old Economy bezeichnet wird. Dabei wird unterschätzt, wie gross und mächtig diese Wirtschaftszweige sind – und wie konsequent sich die meisten der Schwergewichte mit Erfolg auf den traditionellen Geschäftsfeldern behaupten, ohne die künftigen Herausforderungen aus dem Blick zu verlieren. Übersehen wird überdies, wie sehr sich der DAX in den vergangenen 30 Jahren gewandelt hat. Einstmals eminent wichtige Sektoren wie etwa Banken und Versorger haben in der Struktur des Index stark an Bedeutung verloren.
Dominanter Automobilsektor
Gleichermassen dominant wie problembehaftet präsentiert sich der derzeit wohl wichtigste Sektor im DAX: die Automobilindustrie. Allein die drei Hersteller VW, BMW und Daimler stehen für rund ein Drittel der Gewinne im Index – die Dieselaffäre hat daran ebenso wenig geändert wie die aufkommende Konkurrenz aus China und den USA. Die Unkenrufe, dass die deutschen Hersteller den immensen Herausforderungen – Elektromobilität, autonomes Fahren, Vernetzung – nicht gewachsen sind, schlagen sich in den Börsenkursen und den Geschäftszahlen jedenfalls nicht nieder.
Anlässlich DAX-Jubiläums sollte insbesondere im Zusammenhang mit der deutschen Automobilindustrie kurz daran erinnert werden, welche Zukunft man der Branche bei der Indexgründung prophezeit hat. Damals drängten Namen wie Datsun, Toyota und Mitsubishi auf den deutschen Markt, und nicht wenige sahen die Glanzzeit der deutschen Marken angesichts des Angriffs aus Japan als erledigt an. Heute sind es andere Herausforderungen, die den drei Grossen angeblich den Garaus machen werden. Daran darf man zweifeln. Der Forschungsaufwand der hiesigen Automobilindustrie trägt Früchte. So stammt jedes dritte Patent im Bereich Elektromobilität und des Hybridantriebs aus Deutschland. Möglich, dass die deutschen Hersteller mit ihren Prototypen nicht unbedingt die Speerspitze der alternativen Antriebstechnologien gebildet haben. Doch wie schwierig es ist, ein qualitativ hochwertiges Fahrzeug in grosser Stückzahl zu produzieren, sieht man unter anderem an den Schwierigkeiten von Tesla. Der US-Konzern tut sich äusserst schwer, die Versprechen hinsichtlich der Auslieferungen zu erfüllen. BMW und Co. dürften, so viel Selbstbewusstsein ist erlaubt, aufgrund ihrer Logistik damit kein Problem haben.
In anderen Schlüsselindustrien, etwa Chemie oder Maschinenbau, ist es kaum anders. Die Unternehmen, die sich seit längerer Zeit an der Spitze der deutschen Wirtschaft behaupten, tun das nicht in erster Linie wegen ihrer Tradition, sondern vor allem aufgrund ihrer Wandlungsfähigkeit. Spinoffs wie Healthineers, Osram und Lanxess zeigen, dass sich auch grosse Namen immer wieder neu in Frage stellen, um die optimale Struktur für das Geschäftsmodell zu finden.
Schwachstelle des DAX: die IT-Industrie
Soweit zu den Stärken. Die Schwächen des Index – und damit der hiesigen Wirtschaft – liegen unter anderem in der vergleichsweise schwachen Stellung der deutschen IT-Konzerne. Ein zweites Silicon Valley wird in Deutschland nicht entstehen. Aussichtsreiche IT-Unternehmen aus Deutschland, sobald sie tatsächlich nachhaltige Erfolge vorweisen können, werden von grösseren Adressen aus dem Ausland aufgekauft. Der Sektor ist daher im DAX nur mit zwei Unternehmen präsent – die allerdings können sich in Sachen Zukunftsfähigkeit durchaus sehen lassen: Der Softwarehersteller SAP hat die Chance, die das Cloud Computing bietet, früh erkannt und wächst in diesem Bereich stetig. Und Infineon kann als einer der grossen Profiteure der modernen Mobilität gelten. Denn je moderner ein Fahrzeug ausgestattet ist, desto mehr Chips und Halbleiter werden verwandt – ein Bereich, in dem die Münchner führend sind, weil sie die Zeichen der Zeit erkannt und die Chance rechtzeitig ergriffen haben, statt sich auf den Verdiensten der Vergangenheit auszuruhen.
DAX 2048: bei knapp 170’000 Punkten
Es ist eine Binsenweisheit, aber sie ist trotzdem wahr: Die Erfolge von gestern zählen an der Börse nicht. Gefragt sind heute wie eh und je Adressen mit schlüssigen und vor allem mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen. Hier gibt es für die deutschen Konzerne ohne Frage sehr viel zu tun, um ihre Produktpalette und ihre Kostenstrukturen fit für veränderte Zeiten zu machen. Nicht jedes Unternehmen, das heute im DAX steht, wird seine Berechtigung für den Large Cap Index in zehn Jahren noch haben. Da wird es heutigen Blue Chips nicht anders gehen als in der Vergangenheit klangvollen Namen der deutschen Wirtschaftsgeschichte wie Deutsche Babcock oder Feldmühle Nobel. Das Gros der Adressen aber ist gegen den Abstieg gut gerüstet – Investoren sollten an DAX-Investments also auch in den kommenden Jahren noch viel Freude haben. Ob der DAX es schafft, sich in den nächsten 30 Jahren so stark weiterzuentwickeln wie in den vergangenen drei Jahrzehnten, ist allerdings offen. Seit dem Startpunkt hat sich der Wert des Index in etwa verdreizehnfacht. Zum 60. Geburtstag im Jahr 2048 müsste der DAX dann bei knapp 170’000 Zählern stehen. Das sind glänzende Aussichten für Aktieninvestoren! (Union Investment/mc/ps)