Union Investment: Wie die Bundestagswahl die Finanzmärkte beeinflusst

Union Investment: Wie die Bundestagswahl die Finanzmärkte beeinflusst
Dr. Jörg Zeuner, Chefökonom, Union Investment. (Bild: Union Investment)

Frankfurt – Welche Weichen wird eine neue Bundesregierung stellen? Einige Grundthesen sind möglich: Berlin dürfte europafreundlich bleiben oder noch europafreundlicher werden, was am europäischen Kapitalmarkt eher für Entspannung sorgt. Und: Die Hürden für mehr staatliche Investitionen dürften sinken.

Die Bundestagswahl am 26. September ist eine Wahl in Zeiten des Neubeginns. Sie findet in einer – pandemiebedingten – Umbruchzeit statt und markiert somit gleichzeitig eine gewisse Zäsur: Nach sechzehn Jahren Amtszeit endet die Kanzlerschaft von Angela Merkel. Damit verlässt eine international hoch geachtete Politikerin die Bühne, die im angelsächsischen Raum oft als Garantin für den Zusammenhalt Europas und für einen moderaten Politikstil gesehen wurde. Angela Merkel repräsentierte zudem Kontinuität – eine wichtige Eigenschaft, die am Kapitalmarkt vielfach Beifall fand, da Ungewissheit und Unberechenbarkeit als Risiko betrachtet werden.

Entscheidend ist aber heute die Frage, ob sich durch das Ende der „Ära Merkel“ und durch die Bundestagswahl an dieser Einschätzung etwas ändern dürfte. Und: Was die Bundestagswahl für Deutschland selbst bedeutet. Denn welche politischen Akzente und Rahmenbedingungen künftig gesetzt werden, entscheidet direkt und indirekt über die Konsum- beziehungsweise Investitionstätigkeit von Bevölkerung und Staat, und beeinflusst damit auch die Geschäftsaussichten von Unternehmen und die Entwicklung von deutschen und europäischen Vermögenswerten.

Europafreundliche Bundesregierung zu erwarten
Die Ökonomen von Union Investment gehen dabei von folgenden Thesen aus, die sich auf den Nenner bringen lassen: Nach aussen ist Kontinuität weitgehend Trumpf, nach innen sind Veränderungen zu erwarten. Diese Annahmen beruhen auf den Aussagen in den jeweiligen Wahlprogrammen und von öffentlichen Interviews mit Expertinnen und Experten der Parteien, sowie auf jüngsten Wahlumfragen, die deutliche Verschiebungen zwischen einzelnen Parteien erwarten lassen, aber letztlich keine erdrutschartigen Veränderungen darstellen.

Bundestagswahl: Der Countdown läuft
Stimmanteile in den Umfragen

Quelle: Union Investment, Macrobond, Wahlforschungsinstitute; Stand: 10. Juni 2021.

Insgesamt gehen die Experten von Union Investment davon aus, dass sich im Zuge einer möglichen Regierungsbeteiligung der Grünen der politische Kurs Deutschlands relativ stärker ändern dürfte, als ohne Regierungsbeteiligung der Grünen. Es ist zu erwarten, dass die Intensität der Änderung letztlich vom Abschneiden der Grünen Partei sowie natürlich von der insgesamten Ausgestaltung der Koalition abhängig sein würde.

  • Es dürfte erneut eine europafreundliche Bundesregierung geben. Europäische Projekte wie die Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sollten dadurch Rückenwind erhalten. Je nach Regierungskonstellation ist, vor allem im Bereich der Fiskalpolitik, eine tiefere europäische Integration zu erwarten.
  • Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) bleibt unangetastet. Die Inflation in Deutschland könnte durch einen etwas höheren Fiskalimpuls sowie durch eine CO2-Steuer und gegebenenfalls eine Mindestlohnanhebung etwas höher ausfallen. Dies dürfte jedoch nicht ausreichend sein, um zu einer spürbar schnelleren Normalisierung der Geldpolitik zu führen.

Für die Finanzmärkte wären dies gute Nachrichten, infolgedessen die Risikoprämien auf europäische Anlagen tendenziell weiter fallen dürften. Auch die Gemeinschaftswährung sollte von dieser Kontinuität profitieren. Durch den höheren Inflationsdruck dürften Bundesanleihen tendenziell leichte Verluste erleiden, während Euro-Peripherieanleihen durch das gesunkene politische Risiko unterstützt werden sollten.

Damit steht einer Annäherung der Renditen zwischen den Euro-Kernländern (wie Deutschland) und denen der Peripherie (wie Italien) zunächst wenig entgegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die neue Bundesregierung für eine vertiefte fiskalpolitische Integration plädieren würde. So fordern die Grünen etwa eine dauerhafte institutionelle Verankerung des Wiederaufbaufonds auf europäischer Ebene. Unabhängig von der Regierungskonstellation wird die Unabhängigkeit der EZB auch künftig nicht in Frage gestellt werden, was den Investitionsstandort Europa unterstützen sollte.

Allerdings ist auch klar: Es handelt sich um eine Momentaufnahme. Der Kapitalmarkt wird im Umfeld der Bundestagswahl 2021 auch damit beginnen, die französische Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2022 stärker in die Preisbildung miteinzubeziehen. Sollten sich dort die Anzeichen eines Wechsels hin zu einer dem Euro und der Europäischen Union ablehnend eingestellten Regierung verdichten, hätte dies gegenteilige Effekte am Anleihenmarkt.

Weitere aussenpolitische Themen mit Marktbezug sind die Haltung der neuen Bundesregierung gegenüber den Grossmächten. Bei einer starken Grünen Regierungsbeteiligung könnte die geopolitische Ausrichtung gegenüber China (z. B. Stärkung des Lieferkettengesetztes) und Russland (möglicher Stopp der Gas-Pipeline Nordstream 2) verschärft werden. Mit einem Abbruch der Beziehungen zu China ist allerdings angesichts der grossen Bedeutung des Landes für die deutsche Exportwirtschaft und für die Erreichung der globalen Klimaziele nicht zu rechnen. Dementsprechend dürften auch die Auswirkungen auf die Anlageklassen begrenzt bleiben. Eine temporär damit verbundene Unsicherheit kann aber zu einem vorläufigen Anstieg der Schwankungsbreite bei Risikoanlagen führen.

Innenpolitik: Steuern und Klima im Fokus
In der innenpolitischen Sicht haben insbesondere die Vorschläge der Parteien zu Steuer- und Rentenpolitik sowie im Bereich Klimaschutz Relevanz für die Kapitalmärkte. So könnten die Vorschläge zur Rentenreform das Sparverhalten von privaten Haushalten beeinflussen. Der unmittelbare Einfluss auf den deutschen Kapitalmarkt dürfte aber begrenzt bleiben.

In Steuerfragen sind Anpassungen davon abhängig, welche Koalition sich am Ende schliesslich bildet. Stand 16. Juni 2021 sind folgende infrage kommende Koalitionen möglich: CDU/CSU, Grüne und FDP (Jamaika), CDU/CSU, SPD und FDP (Deutschland-Koalition), Grüne, SPD und FDP (Ampel) sowie Union und Grüne. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass Wahlumfragen nur bedingt geeignet sind, präzise Szenarien zu prognostizieren, auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Grünen Regierungsbeteiligung in der kommenden Legislaturperiode hoch sein könnte.

Während sich in Steuerfragen die SPD und die Grünen relativ nahe sind, ist die Position der FDP mit der Haltung jener beiden Parteien schwer zu vereinen. Vor allem bei einer starken Position der Grünen in einer kommenden Regierung sind Steuerhöhungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen denkbar, die unter anderem der Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen dienen könnten. Die negativen Effekte auf Unternehmen wären aber überschaubar, zumal der potentiell stärkere Koalitionspartner die CDU einen Belastungsdeckel für Unternehmen einführen möchte. Der Preis für den Ausstoss von Kohlendioxid (CO2) sollte in allen politischen Konstellationen steigen, da die Bundesregierung vom Bundesverfassungsgericht gerügt wurde, zu wenig für das Erreichen der Klimaziele zu tun. Im Fall einer Beteiligung der Grünen würde der Anstieg aber wohl höher ausfallen als in anderen Koalitionen.

Höhere öffentliche Investitionen möglich
Grundsätzlich gehen die Ökonomen von Union Investment davon aus, dass der Widerstand gegen höhere öffentliche Investitionen geringer wird, insbesondere bei einer möglichen Regierungsbeteiligung der Grünen. Hier dürften vor allem mehr Mittel in den Klimaschutz gelenkt werden. In allen Koalitionsszenarien dürfte aber der Fiskalimpuls grösser ausfallen als vor der Pandemie. Dies spricht tendenziell für eine relative Bevorzugung von Aktien gegenüber Renten, da es eine leichte Belastung durch ein etwas höheres Anleiheangebot (direkter Effekt) sowie durch ein mittelfristig etwas höheres Potenzialwachstum (indirekter Effekt) geben könnte. Aktienseitig dürfte das höhere Potenzialwachstum stützend wirken.

Im Einzelnen wird aber auch hier ausschlaggebend sein, welche Koalition am Ende zustande kommt. Vor allem die Grünen stehen für mehr staatliche Investitionstätigkeit im Rahmen einer „sozial-ökologischen Transformation“, also mehr Investitionsausgaben etwa im Bereich Energieeffizienz oder klimafreundlicheren Technologien. In der Finanzpolitik dürften sich die Grünen für eine flexiblere Gestaltung der Schuldenbremse einsetzen. Mit der CDU als Koalitionspartner dürfte dies aber schwer umzusetzen sein. Neben einem Bekenntnis zur Schuldenbremse will die CDU so schnell wie möglich zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückkehren.

Alles in allem dürfte eine Regierungsbildung nach der Wahl kein Selbstläufer werden. Es ist von einer komplexen Regierungsbildung auszugehen. Und auch, wenn von der Bundestagswahl kein substanzielles Risiko für die Märkte ausgeht, ist während den Koalitionsverhandlungen eine kurze Periode der Unsicherheit durchaus denkbar. In jedem Fall werden politische Entwicklungen für die kommenden Monaten die Kapitalmärkte massgeblich beeinflussen. (Union Investment/mc/ps)

Regierungsbildung dürfte komplex werden
Mögliche Koalitionen auf Basis der aktuellen Stimmanteil

Quelle: Union Investment, Macrobond, Wahlforschungsinstitute; Stand: 10. Juni 2021.

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