Washington – Sollen sie? Oder sollen sie nicht? Während Präsident Donald Trump im Weissen Haus versucht, die Verteidigungsstellungen zu ordnen, diskutieren die US-Demokraten über das Vorgehen gegen den Präsidenten. Über die Frage eines Amtsenthebungsverfahren auf Grundlage der Ergebnisse aus dem Abschlussbericht von US-Sonderermittler Robert Mueller ist die Oppositionspartei tief gespalten. Demokraten-Vorkämpferin Nancy Pelosi trat am Dienstag kräftig auf die Bremse. «So weit sind wir noch nicht.»
Pelosi ist 78 Jahre alt und hat im politischen Washington so ziemlich alles erlebt, was es zu erleben gibt. Auch das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton, 1998 angestrengt in der Sex-Affäre um Paula Jones und Monica Lewinsky von den heute regierenden Republikanern. Federführend war der damalige Parlamentschef Newt Gingrich – einer von Pelosis Vorgängern. Sie weiss, wie wenig die Diskussion über ein Impeachmentverfahren den Republikanern damals gebracht hat. Und wie sehr Gingrich im Regen stand.
Politik der permanenten Nadelstiche
Pelosi scheint eine andere Strategie zu verfolgen. Sie will Trump die Lasten eines Enthebungsverfahrens aufbürden: Unzählige Anhörungen, Vorladungen, Aufforderungen zur Übergabe von Dokumenten. Ohne aber die politischen Risiken tragen zu müssen, die ein solches Verfahren auch für die Demokraten bringen würde. Ein Impeachment würde ohnehin mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Senatsmehrheit der Republikaner scheitern. Warum also das Risiko eingehen, wenn man den Präsidenten auch so vor sich her treiben kann?
Wie sehr diese Nadelstich-Taktik schmerzt, zeigt das Beispiel Steuern: Mit ihrer Ausschussmehrheit forderten die Demokraten das Finanzministerium auf, Trumps Steuererklärungen herauszurücken. Zwei Ministerien – neben dem Finanz- auch das Justizressort – und Heerscharen von Juristen sind seit Tagen dabei, eine Strategie zu finden, um genau dies zu verhindern. Finanzminister Steven Mnuchin musste am Dienstag einen zehnseitigen Brief verfassen, um dem Parlament seine Sicht der Dinge vorzutragen und eine Fristverlängerung bis 6. Mai zu rechtfertigen.
Ehemaliger Trump-Rechtsberater vorgeladen
Gleichzeitig lud der Justizausschuss des Abgeordnetenhauses den früheren Trump-Rechtsberater Donald McGahn vor – eine der Schlüsselfiguren bei den Mueller-Untersuchungen. McGahn hatte nach seinem Ausscheiden aus dem Weissen Haus intensiv mit Mueller zusammengearbeitet. Wenn er öffentlich und unter Eid im Ausschuss aussagen muss, könnten pikante Details aus dem Innenleben des Weissen Hauses zu Tage treten – vielleicht auch mehr.
Trump wehrt sich mit Händen und Füssen. Einen öffentlichen Auftritt McGahns wie auch aller weiteren derzeitigen und früheren Mitarbeiter des Weissen Hauses will er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern. «Es gibt keinen Grund, weiter voranzugehen, besonders im Kongress, wo es sehr parteiisch zugeht» sagte er in einem Interview der «Washington Post» am Dienstag (Ortszeit). Eine Anhörung McGahns, live im Fernsehen und Internet übertragen, wäre ein politisches Spektakel, für das schon jetzt die Parallele zur Anhörung von Richard Nixons Berater John Dean in der Watergate-Affäre bemüht wird.
Das Eigenleben der Präsidentschaftsanwärter
Wenn die Demokraten das bis ins Wahljahr 2020 durchhalten, könnten sie grosse Teile des Regierungsapparates von ihrer eigentlichen Arbeit abhalten – und damit aus demokratischer Sicht Schaden begrenzen. Ganz ohne ein gefährliches Amtsenthebungsverfahren. Doch die Partei ist sich intern keinesfalls einig. Die bereits gekürten oder noch zu benennenden Präsidentschaftsanwärter führen ihr politisches Eigenleben.
Die forscheren unter ihnen wollen die Amtsenthebung – koste es, was es wolle. «Ich glaube, dass wir diesen Präsidenten loswerden müssen», sagt etwa Kamala Harris. Ihre Senatoren-Kollegin Elizabeth Warren betonte: «Wenn ein anderes menschliches Wesen getan hätte, was in dem Mueller-Bericht dokumentiert ist, würde es festgenommen und ins Gefängnis gesteckt.»
Die abgebrühteren kümmert das nicht. Bernie Sanders etwa nutzt stoisch die Lücken in der Sachpolitik, um seine Inhalte zu transportieren. Dank Sanders diskutiert Washington derzeit etwa leidenschaftlich die Frage, ob Strafgefangene das Wahlrecht haben sollen – in vielen anderen zivilisierten Ländern längst eine Selbstverständlichkeit. Pete Buttigieg dagegen, Bürgermeister von South Bend in Indiana und gerade aufgehender Stern am Kandidaten-Firmament der Demokraten, nutzt die Zeit laut Medienberichten, um eine Strategie wiederum gegen Sanders zu entwickeln.
«Dysfunktional»
Und Donald Trump? Der twittert. Allein 18 Mal am Dienstag. Unter anderem regte er sich über den Dienst Twitter auf, der seiner Auffassung nach nicht genug konservative Meinungsäusserungen zulässt. Am Nachmittag traf er sich mit Twitter-Chef Jack Dorsey. Am Donnerstag ist der Präsident Gast bei der Waffenlobby-Organisation NRA. Am Wochenende macht er Wahlkampf in Wisconsin. Regiert wird eher wenig. Gérard Araud, bis vor wenigen Tagen Botschafter Frankreichs in Washington, gebrauchte im Interview des Senders CNN ein hartes Wort zur Beschreibung des Zustandes im Weissen Haus: «Dysfunktional.» (awp/mc/pg)