UZH-Anthropologen beschreiben dritte Orang-Utan-Art

Tapanuli-Orang-Utan: Jungtier. (Foto: batangtoru.org)

Zürich – Bis heute gelten der Borneo-und Sumatra-Orang-Utan als zwei getrennte Arten. Nun be­schreiben UZH-Forschende mit einem internationalen Team eine neue Menschenaffenart, den Tapanuli-Orang-Utan. Er ist der am stärksten bedrohte Menschenaffe, nur noch rund 800 Tiere leben in den Hochlandwäldern im Norden Sumatras.

Zwei indonesische Orang-Utan-Arten sind bis anhin beschrieben und offiziell anerkannt. Eine Art lebt auf der Insel Sumatra, sogenannt Pongo abelii. Die andere ist auf Borneo beheimatet, Pongo pyg­meaeus. 1997 entdeckten Forscher der Australian National University bei Feldstudien eine Orang­Utan-Population. Diese lebt isoliert in der Region Batang Toru innerhalb der drei Tapanuli-Distrikte auf Nordsumatra. Nun belegen UZH-Anthropologen gemeinsam mit einem internationalen Forscher­team, dass es sich hierbei um eine dritte Orang-Utan-Art handelt: Pongo tapanuliensis. Die UZH-Forschenden weisen mit ihrer neuen Studie die umfangreichste je durchgeführte genetische Analyse an wildlebenden Orang-Utans vor.

Einzigartige Zähne und Schädelform
Erste Hinweise für die Einzigartigkeit der Tapanuli-Popluation lieferte das Skelettmaterial eines im Jahr 2013 getöteten männlichen Orang-Utans. Im Vergleich mit vielen anderen Schädeln sind beim Tapanuli-Orang-Utan gewisse Merkmale der Zähne und des Schädels einzigartig. «Wir waren völlig überrascht, dass der Schädel in einigen Merkmalen anders ist, als alles, was wir zuvor gesehen hat-ten», erklärt Matt Nowak, der die morphologischen Merkmale im Rahmen seiner Dokorarbeit erforscht hat und heute für das Sumatra-Organ-Utan-Schutzprogramm (SOCP) arbeitet.

Drei evolutionäre Abstammungslinien identifiziert
«Als wir feststellten, dass sich die Tapanuli-Population morphologisch von allen anderen Orang-Utans unterscheiden, passten unsere Puzzleteile zusammen», ergänzt Michael Krützen, Professor für Evolutionäre Anthropologie und Genomik an der UZH. Das Team um Krützen erforscht seit längerem die genetische Abstammung aller lebenden Orang-Utan-Populationen. Frühere Studienergebnisse sowie die aktuelle Genomsequenzierung von 37 Orang-Utans lieferten ein übereinstimmendes Bild mit den morphologischen Details: «Wir identifizierten drei sehr alte evolutionäre Abstammungslinien unter allen Orang-Utans, obwohl derzeit nur zwei Arten beschrieben sind», erklärt die frühere UZH-Doktorandin Maja Mattle-Greminger.

Direkte Nachkommen der ersten Orang-Utan-Population
Anhand von umfangreichen Computermodellierungen zur Rekonstruktion der Populationsgeschichte verifizierten die UZH-Forschenden ihre neue Erkenntnis. Ihre Berechnungen zeigen, dass die Tapanuli-Population für mindestens 10’000 bis 20’000 Jahre von allen anderen auf Sumatra lebenden Orang-Utans isoliert gewesen war. Alexander Nater, ehemaliger UZH-Doktorand, erläutert: «Die äl­teste evolutionäre Linie in der Gattung Pongo findet sich tatsächlich bei den Tapanuli-Orang-Utans. Sie sind daher wahrscheinlich die direkten Nachkommen der ersten Population im Sunda Archipel.» Verhaltensbeobachtungen sowie ökologische Studien belegen diese genetischen und morphologi­schen Analysen.

Artenschutz steht im Vordergrund
«Es ist wirklich sehr spannend und aufregend, eine neue Menschenaffenart im 21. Jahrhundert zu identifizieren», sagt Hauptautor Michael Krützen. Jetzt gehe es aber vorderhand darum, den Tapanu­li-Orang-Utan zu schützen. «Jegliche Bemühungen zur Erhaltung der Art müssen sich primär auf den Schutz ihres Lebensraums richten», unterstreicht Krützen. Immer mehr Regenwaldgebiete gehen zugunsten der Landwirtschaft verloren. Unberührte Wälder im Batang-Toru-Ökosystem fallen etwa Palmölplantagen zum Opfer. Geplant ist auch der Bau eines hydroelektrischen Damms, der den Le­bensraum der Tapanuli-Orang-Utans weiter beschneiden wird.

Nur noch rund 800 Exemplare zählt die Tapanuli-Population, wie eine kürzlich durchgeführte, unab­hängige Studie von indonesischen und internationalen Wissenschaftlern bilanziert. Der Tapanuli­Orang-Utan gilt somit als die am meisten bedrohte Menschenaffenart überhaupt. «Wenn nicht früh genug Massnahmen eingeleitet werden, um gegenwärtige und zukünftige Bedrohungen zu reduzie­ren, und um jedes noch verbleibende Waldstück zu bewahren, stirbt eine Menschenaffenart bereits in wenigen Jahrzehnten aus», warnt Matt Nowak, der sich als Forschungsleiter des Sumatra-Orang­Utan-Schutzprogramms für den Tapanuli-Orang-Utan einsetzt. (Universität Zürich/mc/ps)

Literatur:
Alexander Nater et al. Morphometric, behavioral, and genomic evidence for a new orangutan species. Current Biology. November 2, 2017. DOI:10.1016/j.cub.2017.09.047

Sumatra-Orang-Utan-Schutzprogramm (SOCP)
Das Sumatra-Orang-Utan-Schutzprogramm (SOCP) wurde 1999 von der Schweizer Stiftung Pan-Eco gegründet. Im Jahr 2005 verstärkten das SOCP die Erforschung der Orang-Utans im Batang­Toru-Ökosystem – gemeinsam mit mehreren Universitäten und indonesischen Behörden. Im Rah­men dieser Bemühungen wurde 2006 eine Forschungsstation von SOCP ins Leben gerufen, die einen detaillierteren Blick auf die Verhaltensökologie und Genetik des Tapanuli-Orang-Utans er­möglicht.

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