Zürich – Die Klimaerwärmung lässt in der Arktis den Permafrost auftauen, Gletscher schmelzen und führt zu Vegetationsveränderungen, extremer Trockenheit und Feuern. Diese Entwicklungen hängen stark vom Energieaustausch zwischen Atmosphäre und Boden ab. Forscherinnen der Universität Zürich zeigen nun, dass unterschiedliche Pflanzengemeinschaften in der Tundra diesen Energieaustausch stark beeinflussen, in Klimamodellen aber nicht berücksichtigt werden.
Die Hitzewelle diesen Sommer in Europa führte vielen Menschen vor Augen, wie wichtig Pflanzen sind, um die Umgebung abzukühlen. Doch welchen Einfluss haben die verschiedenen Vegetationstypen in der Arktis auf den Energieaustausch zwischen Erdoberfläche und Atmosphäre? Wichtig zu wissen ist dies aufgrund der grossen Bedeutung dieser Region für das Klima: Die Arktis erwärmt sich mehr als doppelt so schnell als im globalen Durchschnitt, was sich regional etwa im auftauenden Permafrost oder den schmelzenden Eismassen zeigt und global beispielsweise zu Kälteschäden in weit entfernten Ökosystemen Ostasiens führt.
Ähnlicher Wärmeflussunterschied wie zwischen Gletscher und Grasland
Ein internationales Team unter der Leitung von zwei Forscherinnen vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich hat nun den Energiehaushalt der Landoberfläche in der Arktis genauer untersucht. Sie zeigen, dass die in Klimamodellen vernachlässigte Vielfalt der arktischen Vegetation einer der wichtigsten Faktoren ist, die den Energieaustausch zwischen Erdoberfläche und Atmosphäre bestimmen. «Erstaunt hat uns, dass im Sommer der Unterschied im Wärmefluss zwischen zwei Vegetationstypen – etwa einer von Flechten und Moosen dominierten Landschaft und einer mit Sträuchern – ähnlich hoch ist wie zwischen der Eisoberfläche von Gletschern und der grünen Graslandsteppe», sagt Jacqueline Oehri, Postdoktorandin und Erstautorin der Studie.
Vegetationstypen mit Daten von 64 Messstationen verknüpft
Die arktische Vegetation reicht von trockenen Graslandsteppen und Feuchtgebieten, über von Zwergsträuchern dominiertem Buschland hin zu kargen, von Moosen und Flechten geprägten Landschaften. Diese Vielfalt an Vegetationstypen haben die Forschenden mit sämtlichen verfügbaren Daten über den Energieaustausch an 64 Messstationen in der Arktis im Zeitraum 1994–2021 verknüpft. Konzentriert haben sie sich insbesondere auf die Sommersaison von Juni bis August, in der die Sonneneinstrahlung und somit auch die Energieaufnahme besonders hoch ist. Je nach Vegetationstyp wird entweder der Boden oder die Luft mehr oder weniger erwärmt. Ausserdem wärmt sich nach dem Winter die Oberfläche früher auf, wenn sich vermehrt Sträucher ausbreiten. «Die dunklen Äste der Sträucher ragen früh aus der Schneedecke heraus, nehmen Sonnenstrahlung auf und leiten die Wärme zur Bodenoberfläche hin, lange bevor der Schnee weggeschmolzen ist», sagt Oehri.
Kühlende Vegetation kann Permafrost in der Tundra erhalten
«Die Erkenntnisse zu den Energieflüssen in der Arktis sind besonders wichtig, da der Erhalt des Permafrostes insbesondere davon abhängt, wie gross der Wärmefluss in den Boden ist», sagt UZH-Professorin Gabriela Schaepman-Strub. Die Studiendaten ermöglichen es nun, die Auswirkungen der verschiedenen Pflanzengemeinschaften und ihrer räumlichen Verteilung in Klimavorhersagen aufzunehmen. So kann mit verfeinerten Klimamodelle berechnet werden, ob und wie stark die Tundren-Vegetation in der Arktis den Boden kühl halten kann.
Präzise Modelle brauchen zusätzliche Messstationen
«Wir wissen nun, welche Pflanzengemeinschaften über den Energieaustausch einen besonders kühlenden oder wärmenden Effekt haben. Jetzt können wir berechnen, wie sich die Veränderungen der Pflanzengemeinschaften, die in vielen Gebieten der Arktis zu sehen sind, auf den Permafrost und das Klima auswirken», so Schaepman-Strub. Nötig sind dazu insbesondere Verbesserungen bei der Datenerhebung: Obwohl die Arktis sich rasant verändert und einen grossen Einfluss auf die Klimadynamik der ganzen Erde hat, gibt es dort nur wenig verlässliche Messstationen. Zusätzlich zur Sicherstellung des Betriebs der laufenden Stationen plädieren die Studienautorinnen dafür, neue Stationen in jenen arktischen Landschaftstypen einzurichten, die wegen lückenhafter Datengrundlage nur teilweise analysiert werden konnten. (UZH/mc/pg)