Zürich – Die Digitalisierung ist definitiv in den Verwaltungsräten der Schweizer Unternehmen angekommen: Über vier Fünftel der befragten VR-Mitglieder sehen darin neue Geschäftsmöglichkeiten und Chancen für Umsatzwachstum. Weit über die Hälfte gibt aber auch an, dass sie viel Geld in die digitale Transformation steckt und dies Gewinne schmälert. Das Thema wird gemäss dem neuen swissVR Monitor eindeutig von oben getrieben. Allerdings geht es einem Drittel der befragten Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräten zu langsam voran und vier Fünfteln fehlt noch relevantes Knowhow. Weiter gehen die VR-Mitglieder von einem erhöhten Sicherheitsrisiko wegen Cyberangriffen aus und sie kümmern sich noch zu wenig um ethische Fragen der Digitalisierung.
Digitalisierung und Automatisierung sind im laufenden Jahr die wichtigsten Themen in den Steuerungsgremien der Unternehmen in der Schweiz – das zeigt der swissVR Monitor, der von der Vereinigung swissVR zusammen mit dem Beratungsunternehmen Deloitte und der Hochschule Luzern erstellt wird. In der aktuellen Umfrage bei rund 400 Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräten wird klar: Wenn es um das Thema Digitalisierung geht, wählen die Unternehmen einen pragmatischen Ansatz (91%) und sind mehrheitlich (60%) davon überzeugt, bereits weiter fortgeschritten zu sein als die Konkurrenz. Letztere Aussage gilt in viel stärkerem Ausmass für Grossunternehmen (70%) als für KMU (54%). Die Befragten sind aber auch etwas verunsichert: Weniger als ein Fünftel sind voll überzeugt davon, dass der Verwaltungsrat (19%) beziehungsweise die Geschäftsleitung (18%) ihres Unternehmens genügend Knowhow und Kompetenzen mitbringen, um die digitale Transformation erfolgreich voranzutreiben.
Die grosse Mehrheit der Befragten ist vollständig (36%) oder eher (46%) der Ansicht, dass die Digitalisierung neue Geschäftsmöglichkeiten sowie Chancen für Mehrumsatz eröffnet. Grossunternehmen (90%) sehen dies positiver als KMU (78%). Die Digitalisierung bringt aber auch Risiken mit sich, so erfordert sie hohe Investitionen und verursacht Mehrkosten, die auf Margen und Geschäftsergebnisse drücken: Für 15 Prozent trifft diese Aussage voll und für 42 Prozent eher zu. 69 Prozent meinen zudem, dass der digitale Datenaustausch im Verwaltungsrat tendenziell das Sicherheitsrisiko durch Cyberangriffe erhöht. Und mit potenziellen Digitalisierungsrisiken ethischer Natur wie Arbeitsplatzabbau, Diskriminierung, Manipulation oder Datenschutz befasst sich nur eine Minderheit von 46 Prozent der Befragten.
Change Management erfolgsentscheidend
«Diese Resultate entsprechen weitgehend unseren Erfahrungen als Berater unterschiedlichster Transformationsprojekte. Damit die Kosten bei der digitalen Transformation nicht aus dem Ruder laufen oder Projekte jahrelang den Gewinn schmälern, ist eine klare Führung und Verantwortungsübernahme durch die Geschäftsleitung genauso notwendig wie ein umfassendes Change Management und ein seriöses Projektreporting. Weiter darf der Verwaltungsrat mögliche ethische Herausforderungen keinesfalls ausblenden – er ist genau das richtige Gremium, um solche Fragen zu stellen und Klärung zu schaffen», sagt Reto Savoia, CEO Deloitte Schweiz.
Die Digitalisierung umfasst unterschiedlichste Technologien. Die Befragten schätzen Big Data und Automatisierung als die wichtigsten davon ein (Details siehe Grafik). Auch die Bereitstellung von Speicherplatz, Rechenleistung oder Anwendungen über das Internet (Cloud-Computing) und die Vernetzung von physischen und virtuellen Gegenständen mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien (Internet der Dinge, IoT) haben eine breite Bedeutung. Künstliche Intelligenz und Mobile Computing wurden noch von über einem Drittel der Befragten als bedeutendes Thema angegeben.
Blockchain wichtig für Finanzdienstleister
Die Technologien werden je nach Branche sehr unterschiedlich eingestuft: Die Blockchain-Technologie hat im Finanzdienstleistungssektor nach wie vor eine hohe Bedeutung (60%), im verarbeitenden Gewerbe sind IoT (61%) und Roboter (35%) überdurchschnittlich wichtig.
«Zwei digitale Technologien stehen für die meisten Schweizer Unternehmen klar im Vordergrund: Einerseits das Sammeln und Auswerten von grossen Datenmengen und die daraus abgeleitete Vorhersage von Trends, andererseits die Automatisierung von Funktionsabläufen und Arbeitsprozessen, um entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Effizienz zu steigern. Andere Technologien wie 3D-Druck oder Roboter sind nur für spezifische Branchen interessant. Die Resultate sind eine Momentaufnahme, denn Reifegrade und Anwendungsmöglichkeiten digitaler Technologien entwickeln und verändern sich rasch. So hat die Blockchain-Technologie die in sie gesteckten Hoffnungen noch nicht erfüllen können – ein breiterer Einsatz in einigen Jahren ist aber nach wie vor wahrscheinlich», erläutert Cornelia Ritz Bossicard, Präsidentin swissVR.
Digitalisierung ist Chefsache
Das Digitalisierungsthema wird gemäss dem swissVR Monitor eindeutig von der Unternehmensspitze her gesteuert: Die hauptsächlichen Treiber sind der Verwaltungsrat als Gremium (48%), der CEO (46%) und die Geschäftsleitung (43%). Alle anderen Antwortoptionen (Details siehe Report S. 8) wurden von weniger als 18 Prozent ausgewählt. In vier von fünf Unternehmen (79%) ist daher die Digitalisierung auch ein integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie und weniger als zwei von fünf Unternehmen (17%) besitzen eine separate Digitalisierungsstrategie. Nicht alle Unternehmen reagieren allerdings rasch genug oder nehmen sich genügend Zeit für das Thema: Jeweils ein Drittel gibt an, dass ihr Unternehmen zu langsam auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagiere (31%) beziehungsweise sich zu wenig Zeit nehme, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen (33%).
Prof. Dr. Christoph Lengwiler, Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern und Vizepräsident von swissVR erläutert: «Es ist erfreulich zu sehen, dass die Verwaltungsräte sich intensiv, aber auch mit dem nötigen Pragmatismus mit dem digitalen Wandel befassen. Eine erfolgreiche digitale Transformation bedingt die volle Unterstützung durch Verwaltungsrat und Geschäftsleitung, sonst ist ein Scheitern vorprogrammiert. Gleichzeitig sollte aber auch Initiativen aus unteren Unternehmensebenen genügend Platz eingeräumt werden. Und auch externe Impulse wie Workshops oder Weiterbildungen sowie neue Mitglieder mit Digitalisierungswissen können einen Verwaltungsrat in Sachen Digitalisierung voranbringen.» (Deloitte/mc/ps)