Basel – Fake News sind kein Phänomen nur der bildungsfernen Schichten, auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sitzen ihnen auf, sagt Dr. Rainer Greifeneder, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Basel. Er hat kürzlich ein neues Buch zum Thema veröffentlicht.
Herr Greifeneder, die Kirchen behaupten seit Jahrhunderten: Wer ein gutes Leben führt, den Schwachen hilft und niemanden betrügt, der kommt eher in den Himmel als die Sünderin. Ist das eine Fake News?
Nein. Zu einer Fake News gehört zwingend die Täuschungsabsicht. Die Senderin der Nachricht muss den potenziellen Empfänger bewusst täuschen wollen. Dagegen ist anzunehmen, dass die meisten Vertreter der Kirchen selber an das Jüngste Gericht und das ewige Leben glauben.
Corona kommt von Bill Gates, die Mächtigen dieser Erde trinken Kinderblut, Linienflugzeuge versprühen einlullende Substanzen: Ein halbwegs vernünftiger Mensch glaubt nicht an solche Sachen. Ist die Existenz von Fake News eine Folge von Bildungsmangel?
Nochmals nein. Mit «halbwegs vernünftig» evozieren Sie ein humanistisches Bildungsideal, das Ihr und mein Weltbild kennzeichnet. Aber auch Sie glauben am ehesten Dinge, die zu Ihrer Denkweise passen und die gedankliche Verarbeitung Ihrer Umwelt erleichtern, und auch Sie erzählen gerne aufregende Geschichten weiter. Diesen einfachen psychologischen Mechanismen folgen alle Menschen, ob sie nun gebildet sind oder nicht. Fake News profitieren davon: Jemand täuscht, und die Getäuschten täuschen weiter, weil sie eine Sensation weitergeben. Früher war der Aufwand für die Verbreitung einer Fake News ziemlich gross, seit wir jedoch Social Media, Twitter und Co. haben, geht das einfacher, denn jede und jeder von uns erreicht mit einem Klick ganz viele.
Welche Fake News haben Sie schon geteilt?
2011 publizierte die Fachzeitschrift «Science» eine aufsehenerregende sozialpsychologische Studie. Ich habe die Ergebnisse damals aufgenommen und weiterverbreitet, aber sie waren gefälscht.
Sie hätten sie also überprüfen müssen?
Ich habe die drei Fragen sehr wohl gestellt, die uns alle leiten, wenn wir wahr von falsch unterscheiden wollen: Habe ich die Information schon einmal gehört? Glauben die Leute in meinem Umfeld daran? Passt sie zu meinem Weltbild? All das konnte ich bejahen.
«Wir alle haben den psychologischen Wunsch nach Eindeutigkeit.»
Prof. Dr. Rainer Greifeneder
Dass die Leute im Umfeld an eine Nachricht glaubten, bedeutet noch lange nicht, dass sie wahr ist.
Das ist genau das Problem. Wenn mein Umfeld einer Täuschung aufsitzt, führt diese Strategie dazu, dass auch ich mich täuschen lasse. Die US-Präsidentschaftswahl von 2016 hat viele in Europa überrumpelt, weil sie in ihrer Filterblase nicht offen für Informationen waren, die auf einen Wahlsieg Trumps hinwiesen. Auf dem Weg zur Wahrheit ist es hilfreich, sich ausserhalb der Filterblase umzuhören.
Im Studium der Sozialwissenschaften habe ich gelernt, dass es weder Fakten noch die Wahrheit gibt. Sind die angeblichen Fact News die grösste aller Fake News?
Wissenschaftstheoretisch haben Sie recht. Mit Karl Popper gesprochen: Man kann sich der Wahrheit nur annähern, sie bleibt letztlich unerreichbar. Das ist für uns nicht einfach, denn wir alle haben den psychologischen Wunsch nach Eindeutigkeit. Darum sind die Wissenschaften, die Pressefreiheit und die von der öffentlichen Hand geförderten Medien so wichtig: Sie bringen uns der Wahrheit immer ein Stückchen näher, indem sie sie diskutieren.
Etwa die richtigen Massnahmen gegen Corona?
Ein gutes Beispiel! Erst sagten die Wissenschaften, dass Masken im Kampf gegen das Virus nichts nützten, nun ist vom Gegenteil die Rede. Dank den öffentlichen Diskussionen sehen die Menschen, dass Forschung ein Prozess ist und dass es die eine Wahrheit nicht gibt. Das ist die Realität. Anstatt der Wahrheit besitzen wir den gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Konsens, unser aktuell bestes Wissen. Diesem vertraue ich. Ohne Vertrauen geht gar nichts, darauf basieren menschliche Beziehungen, der Handel, die Wirtschaft, jeglicher Austausch, ja die Demokratie. Fake News zerstören das Vertrauen und sind deswegen eine Gefahr für die Gesellschaft.
Sie forschen zu Fake News. Wie popularisieren Sie Ihre Erkenntnisse?
Indem ich Interviews gebe. Und indem mein Team und ich unsere Publikationen wenn möglich Open Access verbreiten. Unser neues Buch zum Thema, das ich mit Mariela Jaffé und anderen herausgegeben habe, steckt nicht hinter einer Paywall, sondern ist im Internet weltweit frei für jede und jeden verfügbar. Dafür sind wir der öffentlichen Hand dankbar, insbesondere dem Schweizerischen Nationalfonds. (Universität Basel/mc/ps)
Rainer Greifeneder ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Basel und Direktor des dortigen Zentrums für Sozialpsychologie. Er erforscht, wie Individuen ihrer sozialen Welt Sinn geben und wie diese ihr Denken und Fühlen prägt. Besonders interessiert ihn der Einfluss von Gefühlen auf das Urteilen und Entscheiden.
Rainer Greifeneder, Mariela E. Jaffé, Eryn J. Newman, Norbert Schwarz:
The Psychology of Fake News. Accepting, Sharing and Correcting Misinformation
Routledge, London/New York 2020, doi: 10.4324/9780429295379
Universität Basel