Der Wahlausgang überrascht und hat es in sich. Die Rechtspopulisten von Marine Le Pens Partei Rassemblement National (RN) können bei den Parlamentswahlen in Frankreich die im Vorfeld der Wahlen für möglich gehaltene absolute Mehrheit nicht erreichen. Der RN landet lediglich auf dem dritten Platz. Das linke Bündnis Nouveau Front Populaire (übersetzt: Neue Volksfront) landet überraschend auf dem ersten Platz. Laut Hochrechnungen kommt das Linksbündnis auf 172 bis 215 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Überraschend ist auch, dass das Bündnis von Präsident Emanuel Macron nur knapp hinter dem Linksbündnis an zweiter Stelle liegt. Laut Hochrechnung kann das Ensemble mit 150 bis 180 Abgeordneten rechnen. Der RN kann auf 120 bis 152 Sitzen spekulieren.
von Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank
Da kein Lager die absolute Mehrheit erreicht hat, wird sich eine Regierungsbildung als sehr schwierig erweisen. Für eine absolute Mehrheit sind 289 von 577 Sitzen erforderlich. Wir haben in unserer Publikationsreihe «Hinter der Schlagzeile» im Vorfeld des ersten Wahlgangs bereits auf die Möglichkeit einer Pattsituation hingewiesen. Jean-Luc Mélenchon, Gründer der linkspopulistische Partei La France insoumise und Spitzenkandidat des Linksbündnisses meldete bereits am Sonntag Regierungsansprüche an. Allerdings ist Mélenchon nicht nur im Macron-Lager, sondern auch unter seinen Verbündeten wenig beliebt. Mélenchon ist sowohl EU- als auch NATO-Gegner. Während der RN seine ursprünglich harte Haltung gegenüber der EU zuletzt deutlich abgemildert hat, lehnt Mélenchon das Staatenbündnis weiterhin vehement ab. Gerade diese extreme Haltung macht ein mögliches Bündnis mit dem linken Lager so schwierig.
Frankreich steckt in einer politisch verfahrenen Situation. Eine Regierungsbildung dürfte sich als äusserst schwierig erweisen. Für die EU wäre eine Regierung unter Jean-Luc Mélenchon ein Schreckgespenst. Der bekennende EU-Gegner würde das Regelwerk der Union wie etwa den Stabilitäts- und Wachstumspakt wohl konsequent ignorieren. Frankreich als zweitgrösste Volkswirtschaft der EU würde zu einem destabilisierenden Faktor werden.
Ohnehin ist der französische Staatshaushalt mit einem Defizit von über 5 % schon heute nicht EU-konform. Statt der dringend notwendigen Konsolidierung des defizitären Haushalts droht sogar eine weitere Ausweitung des Negativsaldos, insbesondere wenn die umstrittene Rentenreform von Emanuel Macron wieder zurückgenommen wird. Das Renteneintrittsalter wurde dabei von 62 auf 64 Jahren angehoben. Genau das lehnt die Linke ab und hat deshalb bereits angekündigt, diese Reform im Falle einer Regierungsbeteiligung zurückzunehmen. So oder so dürfte der Staatshaushalt bei allen denkbaren Koalitionsszenarien der grosse Verlierer werden. Aus diesem Grund ist das Ergebnis der französischen Parlamentswahlen für die Europäische Union kein gutes Ergebnis. Französische Staatstitel dürften weiterhin mit Risikoaufschlägen gegenüber deutschen Bundesanleihen handeln. Deutliche Kursgewinne des Euro gegenüber dem Dollar dürften vorläufig ausbleiben. (VPB/mc)