Es gibt zwei Interpretationsmöglichkeiten für das Wachstum der deutschen Wirtschaft im Jahr 2022. Die eine lautet: Die deutsche Wirtschaft wächst im Vergleich zum Vorjahr deutlich schwächer (2021: 2.6%). Die andere lautet wiederum: Aller Widrigkeiten zum Trotz schlägt sich die deutsche Wirtschaft äusserst solide. Diese Interpretation ist diejenige, die wir bevorzugen.
von Thomas Gitzel, Chief Economist, VP Bank Group
Mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine, der massiv gestiegenen Inflation, der Furcht vor einem Energieengpass, einer immer noch nicht vollständig überwundenen Pandemie und den Lieferkettenschwierigkeiten kam es zu einem Konglomerat an Negativmeldungen wie selten zuvor seit dem zweiten Weltkrieg – und trotzdem wuchs die deutsche Wirtschaft um passable 1.9%. Dies zeigt aber wie stark die Nachholeffekte nach der Corona-Pandemie ausfielen. Das Hotel- und Gaststättengewerbe und der Freizeit- und Kultursektor profitierten vom Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung und Vergnügen.
Die Frage ist jetzt natürlich, wie es weitergeht? Ökonomen sind sich einig, dass der deutschen Volkswirtschaft schwierige Zeiten bevorstehen. Die Energiepreise werden trotz Preisbremsen auf relativ hohem Niveau bleiben, was eine schwere Bürde ist. Und auch die deutlich gestiegenen Lebenshaltungskosten sind eine schwere Last für den privaten Konsum.
Doch aller Unkenrufe zum Trotz schlug sich die deutsche Wirtschaft bis zuletzt besser als gedacht. Die wieder besser funktionierenden Lieferketten schieben derzeit die Produktion an, was wiederum den Arbeitsmarkt stützt. Die deutsche Wirtschaft könnte sich deshalb weiterhin besser entwickeln als befürchtet. Möglicherweise verschiebt sich die Rezession auf der Zeitachse nach hinten. Dass die Rezession hingegen ganz ausbleibt, erscheint uns als unwahrscheinlich. (VP Bank/mc)