Die Inflationsrate in Deutschland fällt der vorläufigen Schätzung zufolge im November von 3.8 % auf 3.2 %. Die harmonisierte Inflationsrate, ein Mass der europäischen Eurostat-Behörde, geht besonders deutlich zurück von 3 % auf 2.3 %.
von Thomas Gitzel, Chief Economist VP Bank
So wie der Inflationsanstieg unterschätzt wurde, ist es jetzt dasselbe mit dem Inflationsrückgang. Der Rückgang kann mit abfliessendem Wasser aus einer Badewanne verglichen werden. Es bildet sich ein Wirbel, der das Wasser in den Abfluss reisst. Dieser Badewanneneffekt wird von vielen Ökonomen unterschätzt. Selbst Nowcast-Modelle, die mittels täglich vorliegender Daten versuchen, die Inflationsrate zu prognostizieren, fangen den rapiden Abwärtssog der Inflationsrate derzeit nicht ein.
Die bereits im Detail vorliegenden Ergebnisse aus den Bundesländern geben Aufschluss über die Preistendenzen im November (für Gesamtdeutschland werden die detaillierten Ergebnisse am 8. Dezember publiziert). Energiepreise dämpften die Inflationsrate noch immer massgeblich. Dies zeigen auch die vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes.
Zu den Hauptpreistreibern gehörten andererseits nach wie vor Lebensmittel, die gegenüber dem Vorjahr immer noch deutlich teurer sind. Allerdings nimmt die Geschwindigkeit des Preisanstiegs schon seit einigen Monaten deutlich ab. Dies wird sich auch in den kommenden Monaten fortsetzen, so dass Lebensmittelpreise immer weniger zur Inflationsentwicklung beitragen. Höhere Preise für den Gaststättenbesuch und für die Übernachtungskosten sind ebenfalls Faktoren, welche die Teuerungsrate auf noch relativ hohem Niveau halten. Die Kerninflationsrate, also ohne die volatilen Nahrungsmittel- und Energiepreise, fällt den vorläufigen Daten zufolge von 4.3 % auf 3.8 %. Das zeigt, dass sich der Preisauftrieb auf breiter Basis abschwächt.
Im Dezember wird sich der Inflationsrückgang aber als schwieriger erweisen. Im Dezember 2022 waren die Ölpreise deutlich gefallen, was einen Teuerungsrückgang im Dezember schwieriger gestaltet. Dies ändert aber aus unserer Sicht nichts daran, dass sich der Preisrückgang im kommenden Jahr fortsetzen wird. Basiseffekte im Lebensmittelbereich halten an. Im ersten Quartal 2023 sind die Lebensmittelpreise um mehr als 20 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Auch die Preise für langlebige Haushaltsgüter werden entweder nur noch schwach im Preis zulegen oder sogar effektiv günstiger sein.
Gerade weil die Inflationsraten weiter im Rückwärtsgang bleiben werden, eröffnet sich der Europäischen Zentralbank (EZB) ab der Jahresmitte 2024 deutliches Zinssenkungspotenzial. (VP Bank/mc)