Von Thomas Gitzel, Chief Economist VP Bank
Das Ressamble Nationale liegt vorn, entscheidend wird der kommende Sonntag.
Die Franzosen haben ihr erstes Urteil gefällt: Das Rassemblement National (RN) ist der Gewinner. Dies war im Vorfeld der Wahlen von den Demoskopen so vorhergesagt geworden. Auch mit dem zweiten Urnengang am kommenden Wochenende wird sich am Gesamtbild kaum etwas Nennenswertes ändern. Vorläufigen Ergebnissen zufolge kommt das RN auf 33 % der Stimmen. Das Linksbündnis liegt mit 28 % auf Platz zwei. Das Lager des französischen Präsident Emanuel Macron kommt auf 21 %.
Bei der entscheidenden zweiten Wahl kann das RN unter Umständen auf eine absolute Mehrheit kommen. Allerdings wollen die Linken und das Macron-Lager einen Pakt schliessen, um doch noch einen Sieg des RN zu verhindern. Der zweite Urnengang am kommenden Sonntag verspricht jedenfalls spannend zu werden.
Sollte der RN unter Spitzenkandidat Jordan Bardella die Regierung stellen, würden Präsident und Regierung unterschiedlichen Parteien angehören, was als «Cohabitation» bezeichnet werden. Zuletzt kam es in den Jahren 1997 bis 2002 zu solch einer Konstellation, als ironischerweise der republikanische Präsident Jacques Chirac ebenfalls das Parlament auflöste und die Sozialisten gewannen.
Was eine Regierung des RN für die EU bedeutet, bleibt inzwischen abzuwarten. Im Wahlkampf waren die EU und die Währungsunion nicht das zentrale Thema. Im Fokus standen die Migration und die verlorene Kaufkraft der Bürger. RN-Chefin Marine Le Pen hat ihre früheren EU-kritischen Positionen abgemildert. Der einmal propagierte EU-Austritt und der damit verbundene Austritt aus dem Euro ist ad acta gelegt. Das Beispiel Grossbritannien hat wohl zu einem Umdenken geführt. Auch die jüngsten Aussagen von Le Pen, nicht auf Konfrontationskurs mit dem Präsidenten gehen zu wollen, klingen konzilianter als noch vor den Europawahlen. Es ist denkbar, dass sich die RN in einer Regierung als weniger radikal erweist als befürchtet. Das zeigt sich in Italien. Dort hat sich Giorgia Meloni von den rechtsgerichteten Fratelli d’Italia bisher als politisch gemässigt erwiesen.
Die Wahlen in Frankreich dürften an den Finanzmärkten nicht lange nachwirken. Die Finanzmärkte werden sich wieder anderen Dingen zuwenden, wenn es um die Bewertung des Euro geht. Dazu gehört vor allem die Geldpolitik. Die EZB wird mit Zinssenkungen zurückhaltend umgehen. Zurückhaltender jedenfalls, als wir, aber auch die Finanzmärkte ursprünglich erwartet hatten. Eine restriktivere EZB könnte dem Euro auf Sicht der kommenden Monate zumindest für leichte Kursgewinne gegenüber dem Dollar verhelfen.