Warum es auf Bali keine Kängurus gibt (und in Australien keine Tiger)

Kragenechse

Die Kragenechse (Chlamydosaurus kingii) ist eine von vielen Agamen-​Arten, die ursprünglich aus der Sunda-​Region stammen und sich in Australien in viele neue Arten aufgespalten haben. (Foto: Dr. Damien Esquerré)

Zürich – Mit einem neuen Modell klären Forschende, weshalb vor Millionen von Jahren mehr Tierarten aus Asien den Sprung auf den australischen Kontinent schafften als umgekehrt. Eine wesentliche Rolle spielte das Klima, in dem sich die Arten entwickelt hatten.

Wer nach Bali reist, wird keinen Kakadu zu Gesicht bekommen, wer auf die Nachbarinsel Lombok geht, hingegen schon. Ähnlich verhält es sich mit Beuteltieren: In Australien leben zahlreiche Beuteltierarten wie das Känguru und der Koala. Je weiter östlich man gelangt, desto spärlicher werden sie: Auf der indonesischen Insel Sulawesi kommen gerade noch zwei Vertreter dieser typisch australischen Säugetiere vor. Auf Borneo sucht man sie vergebens. Der australischen Region fehlen hingegen für Asien typische Säuger wie Bären, Tiger oder Nashörner.

Dieser abrupte Wechsel in der Zusammensetzung der Tierwelt stach schon dem britischen Naturforscher und Mitentdecker der Evolutionstheorie Alfred Russell Wallace ins Auge, der von 1854 bis 1862 den indoaustralischen Archipel bereiste, um Tiere und Pflanzen zu sammeln. Er beschrieb eine (unsichtbare) biogeografische Linie, die zwischen Bali und Lombok sowie Borneo und Sulawesi verläuft und die westlichste Verbreitung australischer Faunenelemente markiert.

Faszinierender Wechsel der Tierwelt
Von diesem abrupten Wechsel der Lebewesen entlang der Wallace-​Linie sind Biodiversitätsforschende seit langem fasziniert. Wie diese Verbreitungsmuster zustande kamen, ist allerdings noch nicht im Detail geklärt.

Eine Erklärung dafür ist die Plattentektonik. Vor 45 Millionen Jahren begann die australische Platte nordwärts zu driften und schob sich unter die mächtige Eurasische Platte. Dadurch näherten sich zwei Landmassen, die zuvor weit voneinander entfernt waren. Landlebewesen wurde es einfacher, von einem Kontinent aus den anderen zu besiedeln. Zudem entstanden als Folge der tektonischen Bewegungen unzählige (Vulkan-​)Inseln zwischen den beiden Kontinenten, die Tiere und Pflanzen als Trittsteine nutzten, um west-​ oder ostwärts zu wandern.

Mehr asiatische Tiere in Australien als umgekehrt
Warum dabei aber mehr Arten den Weg von Asien nach Australien fanden – zahlreiche Giftschlangen, Dornteufel (Moloch horridus), Hüpfmäuse (Notomys) oder Flughunde zeugen davon – als umgekehrt, war bislang ein Rätsel.

Um diese asymmetrische Wirbeltierverteilung entlang der Wallace-​Linie besser zu verstehen, haben Forschende um Loïc Pellissier, Professor für Ökosysteme und Landschaftsevolution der ETH Zürich, ein neues Modell geschaffen. In diesem Modell kombinierten sie Rekonstruktionen des Klimas, die Plattenverschiebungen zwischen 30 Millionen Jahre und der heutigen Zeit und einen umfassenden Datensatz für rund 20’000 Vögel, Säugetiere, Reptilien und Amphibien, die heute in der Region nachgewiesen sind.

Klimata in Ursprungsgebieten entscheidend
In der neusten Ausgabe von Science zeigen die Forscher nun auf, dass Anpassungen an die Klimata in den Ursprungsgebieten für die ungleiche Verbreitung asiatischer und australischer Faunenvertreter dies-​ und jenseits der Wallace-​Linie mitverantwortlich sind.

Nebst der Plattentektonik waren nämlich die Umweltbedingungen, die vor Millionen von Jahren herrschten, entscheidend für den Austausch zwischen den beiden Kontinenten. Die Forschenden stellten anhand der Simulationen fest, dass Tiere, die aus Asien stammten, eher über die indonesischen Inseln «hüpften», um nach Neuguinea und Nordaustralien zu gelangen.

Auf diesen Inseln herrschte ein tropisch feuchtes Klima, das ihnen behagte und an das sie bereits angepasst waren. Anders die australischen Tierarten: Sie hatten sich in einem kühleren und im Lauf der Zeit zunehmend trockeneren Klima entwickelt und konnten daher auf den tropischen Inseln weniger erfolgreich Fuss fassen als die aus Asien einwandernden Lebewesen.

Das asiatische Klima begünstigte also Lebewesen, die über die tropischen Inseln der als Wallacea genannten Faunenregion nach Australien gelangten, insbesondere solche, die ein breites Spektrum an Trockenzonen tolerieren konnten. Dies erleichterte die Ansiedlung von Lebewesen auf dem neuen Kontinent. «Der historische Kontext ist für das Verständnis der heute beobachteten Verteilungsmuster der Artenvielfalt von entscheidender Bedeutung und war das fehlende Puzzlestück, welches das Rätsel der Wallace-​Linie löst», sagt Erstautor Alexander Skeels, Postdoktorand in Pellissiers Gruppe.

Konkurrenzvorteile für tropische Arten
Eigenschaften von Arten, die sich in tropischen Lebensräumen entwickelten, sind unter anderem schnelleres Wachstum und höhere Konkurrenzfähigkeit, um dem Druck der Koexistenz mit vielen anderen Arten standzuhalten. In raueren Klimazonen, wie den kälteren und trockeneren Regionen Australiens, müssen Organismen in der Regel besondere Anpassungen hervorbringen, um mit Trockenheit und Hitzestress fertig zu werden. Dazu gehören Anpassungen des Verhaltens wie Nachtaktivität und physiologische Anpassungen, um den Wasserverlust zu minimieren. «Viele australische Frösche vergraben sich deshalb im Erdboden und ruhen dort für längere Zeit», betont Skeels. «Etwas, was bei tropischen Fröschen selten ist.»

Für die Forschenden sind die Erkenntnisse wichtig: «Sie verdeutlichen, dass wir heutige Verbreitungsmuster der biologischen Vielfalt nur dann verstehen können, wenn wir die geologische Entwicklung und die klimatischen Bedingungen der Vorzeit in unsere Überlegungen miteinbeziehen», sagt Pellisier.

Das Erbe längst vergangener Epochen präge die Muster der biologischen Vielfalt bis in die Gegenwart. Es helfe zudem zu verstehen, weshalb man heute in den Tropen mehr Arten finde als in gemässigten Breiten. «Um die Verteilung der biologischen Vielfalt und die Prozesse, die sie in der Gegenwart erhalten, vollständig zu verstehen, müssen wir herausfinden, wie sie entstanden ist», sagt der Forscher.

Invasive Arten verstehen lernen
Dies gilt insbesondere für die Biogeografie, denn der Austausch von Arten zwischen Kontinenten findet auch heute regelmässig und in alarmierendem Tempo statt, da der Mensch Tiere und Pflanzen um den Planeten verschleppt. Diese Arten können auf anderen Kontinenten invasiv werden und der angestammten Tier-​ und Pflanzenwelt schaden. «Die Faktoren zu kennen, die den Austausch auf langen Zeitskalen beeinflussen, ist wichtig, um zu verstehen, warum Arten in jüngeren Zeitskalen invasiv werden können. In der gegenwärtigen Krise der biologischen Vielfalt kann dies helfen, die Folgen von durch den Menschen verursachten Invasionen besser abzuschätzen», betont Skeels. (ETH/mc/pg)

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