Basel – Dürfen Kinder in einem satirischen Lied ihre Grossmütter als «Umweltsäue» bezeichnen? Die Parodie des Kinderlieds «Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad» sorgte jüngst über Deutschland hinaus für Schlagzeilen. Die Juristin Dr. Raphaela Cueni hat sich in ihrer Dissertation an der Universität Basel mit Satire und Meinungsfreiheit befasst und untersucht, was Satire darf – und was nicht.
Frau Cueni, aus moralischer Sicht eckt Satire oft an, man denke zum Beispiel an das «Oma-Gate».
Satire darf und soll anecken. Sicher gehen die Meinungen zur satirischen Kinderlied-Parodie auseinander: Einzelne Personen mögen dadurch verärgert sein und sich angegriffen fühlen. Problematisch ist in meinen Augen aber nicht der provokative Inhalt, sondern die heftigen Reaktionen und der folgende Shitstorm – vor dem der Sender ja dann mit der Löschung des Lieds von allen Kanälen auch eingeknickt ist.
Welche Rolle hat denn das Recht in solchen Fällen?
Generell ist es die Aufgabe des Rechts, Rechtsgüter vor Schaden zu schützen. Man muss wissen, dass es rechtlich gesehen absolut zulässig ist, wenn sich jemand «daneben» äussert. Es muss deswegen zwischen moralischen, ethischen und rechtlichen Ansprüchen an satirische Äusserungen unterschieden werden. Als Juristin kümmere ich mich nur um letztere.
Wie würden Sie Satire definieren?
Eine abschliessende Definition ist schwierig. Es handelt sich um Aussagen mit Gesellschafts- und Aktualitätsbezug, die sehr aggressiv und oft auch der Kunst ähnlich sind. Und: Kontext ist alles. Ohne diesen erkennt man Satire allenfalls gar nicht. Aber das ist eine generelle Eigenschaft von Kommunikation und nicht nur satirespezifisch. Hinzu kommt noch das Problem mit der Wahrheit.
«Satire soll nicht zugelassen sein, weil sie wahr ist, sondern weil sie ein Thema von gesellschaftlichem Interesse problematisiert.»
Dr. Raphaela Cueni, Juristische Fakultät Universität Basel
Das wäre?
Es wird oft gesagt, Satire bringe die Wahrheit zum Vorschein. Rechtlich gesehen ist das hoch problematisch. Gerade bei satirischen Ehrverletzungen spielt der Wahrheitsbeweis heute vor Gericht oft eine wichtige Rolle: Nur wenn ich beweisen kann, dass meine ehrverletzende satirische Äusserung im Kern wahr ist, ist sie zulässig. Dann verliert Satire eigentlich immer, denn Wahrheit ist ja gar nicht ihr Anspruch. Sie ist selektiv und übertreibt bewusst. Eine satirische Darstellung von Politikern als Tiere will nicht sagen, dass diese in Wahrheit Tiere sind. Mein Punkt ist: Satire soll nicht zugelassen sein, weil sie wahr ist, sondern weil sie ein Thema von gesellschaftlichem Interesse problematisiert.
Da kommen wir nun auf das Thema der Meinungsfreiheit zu sprechen. Wie hängt diese mit Satire zusammen?
Gerade besonders provokative Satire weckt bei vielen Menschen das Gefühl, es müsse doch verboten sein, sich so deplatziert über ein Thema öffentlich zu äussern. Die Meinungsfreiheit schützt aber grundsätzlich alle Äusserungen, ob diese nun nett oder völlig geschmacklos sind. Wenn es dann noch um Äusserungen von gesellschaftlichem Interesse geht, und um solche handelt es sich bei Satire, sind diese besonders schützenswert. Aber eigentlich braucht es ganz generell für Einschränkungen von Äusserungen jeglicher Art einen richtig guten Grund.
Was wäre denn so einer?
Wenn jemand ernsthaft zu Schaden kommt durch eine Äusserung, auch auf immaterielle Weise, muss das Recht einschreiten, also zum Beispiel bei einer Ehrverletzung. Oder wenn man damit rechnen muss, dass eine Aussage sofort zu Gewalt führt. Das ist aber ein absoluter Extremfall, der nur äusserst selten auftreten dürfte. Zudem ist eine Einschränkung von Satire auch mit einem wichtigen Grund noch nicht in jedem Fall zulässig.
«Dass eine Aussage sofort zu Gewalt führt, ist ein Extremfall.»
Es braucht also weitere Voraussetzungen?
Grundsätzlich stehen sich bei Satire zwei Interessen gegenüber. Es gilt abzuwägen: Was sind die Konsequenzen für den öffentlichen Diskurs, wenn eine Aussage eingeschränkt wird? Und was passiert, wenn man nicht eingreift? Wenn wir beim Beispiel der ehrverletzenden Satire bleiben: Eine Funktion der Meinungsfreiheit ist es auch, sehr harsche Kritik an Machtträgern zuzulassen, deswegen müssen gerade Personen in hohen politischen Ämtern sich einiges mehr gefallen lassen als Sie und ich. Meistens wäre es in solchen Fällen übrigens klug, abzuwarten, bis der Aufruhr abklingt, anstatt das Thema durch ein gerichtliches Verfahren erneut aufzublasen.
Gibt es in der Schweiz viele Fälle, in denen sich die Rechtsprechung um Satire kümmern muss?
Das Bundesgericht hat sich nur in einzelnen Fällen umfassender mit Satire befasst. Auch die Rechtswissenschaft äussert sich bisher in der Schweiz eigentlich wenig zu Satire. Bei der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen ist es anders: Diese beurteilt regelmässig Fälle. Und auch der Presserat spielt da eine Rolle, zum Beispiel bezog er in der Debatte um die dänischen Mohammed-Karikaturen Stellung. Solche Einschätzungen sind für uns Juristinnen und Juristen relevant, auch wenn dabei Satire nach medienethischen und nicht nach rechtlichen Massstäben beurteilt wird.
Ist das auch in anderen Ländern so?
Nein, zum Beispiel in Deutschland gelangen viele Fälle vor Gericht. Weshalb, ist fraglich. Liegt es an der Grösse des Landes? An einem geschärfteren rechtlichen Bewusstsein für Satire? Die Rechtsprechung und auch die juristische Literatur sind dort jedenfalls schon weiter als in der Schweiz.
Wie erklären Sie sich das?
Schwer zu sagen. Sind wir bei angriffiger Satire besonders tolerant? Ich bezweifle es.
(Universität Basel/mc/ps)
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Dr. Raphaela Cueni an der Juristischen Fakultät der Universität Basel