Bern – Der Wirtschaftsverband Swisscleantech will die festgefahrene Diskussion über den Ausbau von Wasserkraftwerken mit einem runden Tisch wieder in Gang bringen. Dazu fordert er vor allem die Umweltverbände auf, über ihren Schatten zu springen. Die Energiewende – und mit ihr der Atomausstieg – sei technisch möglich und müsse jetzt umgesetzt werden, forderten die Verantwortlichen von Swisscleantech am Montag an einer Medienkonferenz in Bern.
Dabei komme der Wasserkraft eine grosse Rolle zu. Energieproduzenten, lokale Verantwortliche und Umweltverbände müssen deshalb jetzt zusammensitzen. «Auf allen Seiten müssen Denkverbote abgebaut werden», forderte Strategieleiter Christian Zeyer.
Ökologische Kompensation künftig in grösserem Raum
Bisher sei darauf geachtet worden, dass wirtschaftliche Ausbauten lokal kompensiert würden, erklärte Zeyer. «Dieser Ausgleich zwischen ökonomischem Gewinn und ökologischem Wert muss künftig auf grösserem Raum geschehen – am besten schweizweit.» Als Beispiel nannte Swisscleantech die umstrittene Erhöhung der Grimselstaumauern. Als ökologische Kompensation denkbar sei eine Renaturalisierung der Aare im Mittelland, wo die Artenvielfalt der Natur stark unter dem dichten Siedlungsbau und den Strassen leide. Durch den Ausbau eines grösseren Kraftwerks könnte auch auf kleinere Werke verzichtet werden. Diese seien in letzter Zeit auf ebenso viel Widerstand gestossen wie die grossen.
Viele Projekte liegen in den Schubladen
«Viele Ausbauprojekte von Wasserkraftwerken liegen in den Schubladen der Verantwortlichen», sagte Werner Luginbühl, Verwaltungsrat der Kraftwerke Oberhasli (KWO) und Berner Ständerat vor den Medien. Weil sie fürchteten, dass die Gebiete durch Einwände von Umweltverbänden aber vorsorglich unter Schutz gestellt würden, würden die Pläne nicht angegangen. Eine kritische Hinterfragung des Ausbaus der Wasserkraft sei heute nötig, sagte Luginbühl weiter. «Das langjährige Tabu, die Wasserkraft sei fertig gebaut, muss gebrochen werden.» Er sehe hier gesamtschweizerisch ein grosses Potenzial.
Swisscleantech ohne Scheuklappen
Der Wirtschaftsverband Swisscleantech vertritt die Interessen von über 230 Unternehmen und Verbänden aus Industrie, Stromversorgung und Umwelttechnologie. Der Verband propagiert laut eigenen Angaben «ressourceneffizientes und emissionsarmes Wirtschaften». Die Verantwortlichen zeigen sich dabei ohne Scheuklappen: Präsident Nick Beglinger will neue Atomtechnologien, wie sie derzeit diskutiert werden, nicht verbieten. «Allerdings gibt es heute viele interessantere Technologien, auf die wir setzen sollten», sagte er. Damit dies aber geschieht, müsse das Parlament in der Herbstsession ein klares Bekenntnis zur Energiewende und zum CO2-Gesetz senden, forderte Beglinger. Damit habe die Wirtschaft die Planungssicherheit, um in neue Energieformen zu investieren.
Strombedarf nach 2035
Nötig sind diese Investitionen unter anderem, damit auch im Winter, wenn viel Strom gebraucht und wenig produziert wird, genug Energie vorhanden ist. Swisscleantech hat im Rahmen ihrer im Juni vorgestellten Energiestrategie den erwarteten Strombedarf fürs erste Jahr nach Abschaltung des letzten Schweizer Atomkraftwerkes 2035 analysiert. Fazit: Die geringere Produktion bei der Flusswasserkraft und der Sonnenenergie im Winter könne durch Wärmekraftkoppelung sowie Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke aufgefangen werden. Im windreichen Frühling und Herbst biete sich ein «massvoller» Import an Überschussenergie aus europäischen Windanlagen an.