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Zürich – Die Ausschläge von Börsen- und Wechselkursen haben dieselben Grundlagen wie Molekülbewegungen in der Physik. Dies hat ein Team von Wissenschaftlern aus der Schweiz und aus Japan gezeigt.
Beobachten Wissenschaftler winzige Teilchen wie Nanopartikel oder Bakterien in einer Flüssigkeit unter dem Mikroskop, dann zeigt sich ihnen kein regungsloses Bild. Vielmehr führen die Partikel feinste unregelmässige Zuckungen durch, nicht unähnlich dem nervösen Auf und Ab von Börsen- oder Wechselkursen. Diese beiden Formen von willkürlichem Zittern – jenes von Kleinstteilen in Flüssigkeit und jenes der Preisentwicklung an der Börse – ähneln sich nicht nur auf den ersten Blick, wie ein japanisch-schweizerisches Forscherteam nun gezeigt hat. Auch der dahinterliegende Mechanismus ist derselbe.
Anziehungs- und Abstossungskräfte
Die Brownsche Molekularbewegung, wie das Mikrowimmeln von Teilchen in Flüssigkeit von Wissenschaftlern genannt wird, entsteht, weil zwischen den einzelnen Molekülen der Flüssigkeit Anziehungs- und Abstossungkräfte wirken, welche sie in ständiger Bewegung halten. Dass zwischen diesem Phänomen und Wechselkursen Parallelen bestehen, ist Anfang des 20. Jahrhunderts bereits dem berühmten französischen Mathematiker Louis Bachelier aufgefallen. Erst jetzt jedoch zeigte Didier Sornette, Professor für Entrepreneurial Risks an der ETH Zürich, gemeinsam mit Kollegen aus Japan, genaue Entsprechungen zwischen den beiden auf. Die Wissenschaftler haben ihre Arbeit in der renommierten Fachzeitschrift «Physical Review Letters» veröffentlicht.
Börse erfüllt Einsteins Lehrsatz
«So wie die Kleinstteilchen von den Molekülen der Flüssigkeit umgeben sind und von diesen bewegt werden, sollte auch der Preis, zu dem Wertpapiere oder Währungen an der Börse gehandelt werden, nicht nur für sich alleine betrachtet werden», erklärt Sornette. Vielmehr sei dieser Preis zu jeder Zeit in ein grösseres Ganzes eingebettet, in die Gesamtheit aller Kaufs- und Verkaufsangebote der Kunden von Börsenmaklern. Die Zahl dieser Angebote ist viel höher als jene der tatsächlichen Transaktionen. Denn es gibt viele Angebote, bei denen es zu keiner Transaktion kommt.
Dies beispielsweise, wenn ein Interessent nur einen verhältnismässig tiefen Preis für eine Aktie bezahlen will, jedoch kein Wertpapierinhaber zu einem so tiefen Preis verkaufen möchte. Oder wenn jemand eine Aktie zu einem verhältnismässig hohen Preis verkaufen möchte, dafür aber keinen Käufer findet.
Börsenkurse und Angebote beeinflussen sich gegenseitig – befeuert durch das fortwährende Streben aller Marktteilnehmer, durch das Ausnutzen von Kursunterschieden Gewinne zu erzielen. Daher ist auch die Auftragslage der Börsenmakler in ständiger Bewegung. «Dieses – dynamische – Verhalten der Gesamtheit aller Aufträge ist vergleichbar mit dem physikalischen Verhalten von Flüssigkeiten», so Sornette.
Überprüfung der Theorie mit Daten zum Dollar-Yen-Kurs
Die Wissenschaftler haben ihre Theorie auch anhand von existierenden Marktdaten überprüft. Sie benutzten dazu die Daten einer weltweit tätigen Broker-Firma zum Dollar-Yen-Kurs. So konnten sie etwa zeigen, dass die Gesamtheit aller Aufträge zum Kauf und Verkauf der beiden Währungen sogar eines der bedeutendsten Lehrsätze der statistischen Physik erfüllt, das Fluktuations-Dissipations-Theorem, das auf Albert Einstein zurückgeht. (ETH/mc/pg)