Potsdam – Zwar wollen die meisten Staaten der Welt Klimarisiken vermeiden und deshalb die Zwei-Grad-Grenze globaler Erwärmung einhalten, aber sie sind uneins, wer genau wieviel tun soll für dieses Ziel. Für das Ergebnis des Weltklimagipfels COP21 von Paris ist daher auch entscheidend, wie die Verringerung des Ausstosses von Treibhausgasen zwischen den Staaten aufgeteilt wird. Jetzt haben Wissenschaftler herausgefunden, welche Menge an Emissionsreduktion eine führende Volkswirtschaft leisten muss, um die Welt aus dem Stillstand der Klimapolitik heraus zu führen.
Den Klimawandel wirkungsvoll zu begrenzen ist demnach möglich, wenn es einen Vorreiter gibt und andere folgen – ohne dass die Staaten sich hierbei auf eine für alle gleiche Fairness-Regel für die Verteilung der Reduktionen einigen müssen.
„Wenn die Europäische Union oder die USA als Pionier der weltweiten Klimapolitik handeln würden, so könnte die Blockade der Verhandlungen über eine gerechte Lastenteilung aufgebrochen werden“, sagt Leit-Autor Malte Meinshausen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Universität Melbourne. „Unsere Analyse zeigt, dass sie ihre gegenwärtigen Emissionsreduktions-Ziele ungefähr verdoppeln müssten – was natürlich eine erhebliche Anstrengung erfordern würde. Aber dies scheint eine der wenigen Möglichkeiten zu sein, um die globale Erwärmung am Ende wirklich auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen, und damit eine drastische weitere Zunahme von Wetterextremen und Meeresspiegel-Anstieg abzuwenden.“
Streit um unterschiedliche Massstäbe für Gleichverteilung
Während die UN-Klimarahmenkonvention die Formel der ‚gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung’ hoch hält, ist die Welt gespalten in zwei Lager. Das eine ist faktisch für eine Verteilungsgerechtigkeit in der Zukunft: der Ausstoss von Treibhausgasen pro Kopf würde in allen Ländern etwa gleich sein, in einem noch zu bestimmenden Jahr, vielleicht 2050. Dies ist im Grunde die Position der EU und der USA. Das andere Lager, mit China und Indien, ruft nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit: Die Emissionen der Vergangenheit sollen mit einbezogen werden, um eine gleiche Menge von zulässigen Gesamtemissionen – seit Beginn der Industrialisierung – pro Kopf zu errechnen. Diese Art von Verteilung würde bedeuten: wer in der Vergangenheit wenig Treibhausgase ausgestossen hat, kann in der Zukunft mehr pro Kopf emittieren.
Analysen von Ankündigungen nationaler Emissionsreduktionen und von früheren Verhandlungen zeigen, dass – wenig überraschend – die Länder in der Regel dem Prinzip von Verteilungsgerechtigkeit anhängen, dass für sie im Vergleich zu ihren internationalen Wettbewerbern die geringere Anstrengung verspricht. Da China und Indien sich erst vor kurzer Zeit industrialisiert haben, haben sie in der Vergangenheit weniger Treibhausgase ausgestossen als die EU und die USA. Heute aber emittiert allein China mehr als EU und US zusammen, und auch pro Kopf der Bevölkerung gerechnet liegen Chinas Emissionen etwa auf dem Niveau Europas.
„Weniger utopisch als eine einheitliche Regelung“
„Wir haben errechnet, wie stark eine grosse Volkswirtschaft den Ausstoss an Treibhausgasen senken müsste, wenn alle anderen Staaten dem jeweils für sie günstigeren Muster der Aufteilung von Emissionsreduktionen folgen würden – einige würden dann ihre Reduktionsmengen auf dem Prinzip der Gleichverteilung pro Kopf basieren lassen, andere würden die historischen Emissionen einbeziehen, und unter dem Strich würde dennoch das Zwei-Grad-Ziel erreicht“, erklärt Ko-Autorin Louise Jeffery vom Potsdam-Institut. Die Wissenschaftler nennen dieses Konzept ‚eine der Unterschiede bewusste Führung’. „Dies scheint weniger utopisch als eine einheitliche Regelung“, so Jeffery. „Allerdings baut es auf der Annahme, dass die allermeisten ökonomisch relevanten Staaten in der einen oder anderen Weise teilnehmen.“
In diesem Szenario müsste das US-Ziel der Emissionsreduktionen für 2030 rund 50 Prozent statt gegenwärtig 22-24 Prozent gegenüber 2010 betragen. Alternativ müsste das EU-Ziel der Emissionsreduktionen bei 60 statt gegenwärtig 27 Prozent gegenüber 2010 liegen (die 27 Prozent gegenüber 2010 entsprechen dem angekündigten Ziel von 40 Prozent gegenüber 1990).
Die Zahlen zeigen: China wird nicht die Führung übernehmen
Auch China könnte die Pionierrolle übernehmen. Aber jenseits politischer Abwägungen zeigen schon die Zahlen, dass dies unwahrscheinlich ist. Wollte China hier die Führung übernehmen, müsste das Land bis 2030 seine Emissionen auf 32 Prozent gegenüber 2010 reduzieren. In einem Szenario gleicher kumulativer Pro-Kopf-Emissionen, bei dem auch die historischen Emissionen zur Berechnung der in Zukunft noch zulässigen Emissionen eines Landes einbezogen werden, müsste China nur um 4 Prozent reduzieren. Das erscheint wenig, wäre aber dennoch ein entscheidender Beitrag zur weltweiten Klimastabilisierung, eben weil China heute solche Massen Treibhausgase ausstösst.
„Wenn man sich anschaut, was die Staaten der Welt bislang für Paris auf den Tisch gelegt haben, so ist klar: es reicht nicht, um die globale Erwärmung unter der international anerkannten Grenze von zwei Grad Celsius zu halten – deshalb können die derzeitigen ‚beabsichtigten nationalen Beiträge’ nur als ein erster Schritt in die richtige Richtung gesehen werden“, sagt Ko-Autor Sebastian Oberthür von der Freien Universität Brüssel. Auf der Grundlage von Datenbanken des Weltklimarats IPCC haben die Wissenschaftler ihr Konzept entwickelt, das abweicht von bisherigen Vorstellungen. „Wenn wir so lange nichts tun, bis wir eine einheitliche Vereinbarung zur fairen Verteilung von Emissionsreduktionen haben,“ so Oberthür, „dann wird das Ergebnis fair nur in dem Sinne sein, dass alle verlieren – weil der Klimawandel uns alle treffen wird.“
Die Forscher haben eine Website mit Resultaten der Studie für einzelne G20 Staaten auf www.mitigation-contributions.org erstellt. (PfK/mc/pg)