Zürich – Ob sich Jugendliche sozial oder aggressiv verhalten, hängt wesentlich davon ab, welche Beziehung sie zu ihrer Lehrerin oder ihrem Lehrer haben. Das konnten Forschende der ETH Zürich und der Universitäten Cambridge und Toronto in einer Langzeitstudie nachweisen. Im Durchschnitt zeigten Schüler mit einer positiven Lehrer-Beziehung 18% mehr prosoziales Verhalten und bis zu 38% weniger aggressives Verhalten als Schüler, die ambivalent oder negativ ihrer Lehrperson gegenüberstanden.
«Wenn jemand traurig war oder weh hatte, wie oft hast du versucht, ihn zu trösten?», oder: «Wie häufig hast du andere Menschen geschlagen, gebissen oder getreten?» Mit diesen und ähnlichen Fragen ermittelten Forschende im Rahmen der Langzeitstudie z-proso, wie sozial und wie aggressiv sich Schulkinder verhalten. In der Studie untersuchten Wissenschaftler über 1400 Zürcher Kinder seit Eintritt in die Primarschule im Jahr 2004 in regelmässigen Abständen. Dabei befragten sie auch die Eltern und Lehrer zum Verhalten der Kinder. Auch wenn die Wahrnehmungen der Befragten nicht zwingend übereinstimmten, sind dabei Unmengen von Daten zusammengekommen, mit denen die Forschenden von jedem einzelnen Kind ein Profil erstellen konnten.
Lehrerwechsel als Ausgangslage
Diese detaillierten Profile über das soziale Verhalten der Kinder nutzen die Forschenden, um herauszufinden, welchen Einfluss einzelne Faktoren auf das Verhalten haben. Im konkreten Fall wollten die Forschenden den Effekt der Lehrer-Schüler-Beziehung untersuchen. Dazu bildeten sie unter den 1400 Kindern rund 600 Vergleichspaare mit einem ähnlichen Profil, die sich nur an einem Punkt unterschieden: ihrem positiven oder negativen Beziehung zu ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin. Die Paare wurden im Alter von ca. 10 Jahren vor ihrem Übertritt von der Unterstufe zur Oberstufe (zwischen der 3. und 4. Primarschulklasse) ermittelt. Zu diesem Zeitpunkt wechselt im Zürcher Schulsystem die Lehrperson. Nach dem Lehrerwechsel untersuchten die Forschenden mit den eingangs erwähnten standardisierten Fragebögen, die Beziehung zur neuen Lehrperson und ob sich das Verhalten der Kinder geändert hatte.
38% weniger aggressives Verhalten
Die Resultate sind äusserst klar: Wer eine gute Beziehung zur Lehrperson hat, zeigt auch ein prosozialeres Verhalten, ist also altruistischer und empathischer, zudem weniger aggressiv. Im Durchschnitt zeigten Schüler mit einer positiven Lehrer-Beziehung 18% mehr prosoziales Verhalten und bis zu 38% weniger aggressives Verhalten als Schüler, die ambivalent oder negativ ihrer Lehrperson gegenüberstanden. «Dass die Beziehung zur Lehrperson das soziale Verhalten der Schüler beeinflusst, hatten wir erwartet», gibt Studienleiter Manuel Eisner von der Universität Cambridge zu. «Unerwartet ist jedoch, wie stark diese Beziehung das Verhalten der Kinder beeinflusst.» Das Studiendesign geht dabei weit über simple Korrelationen wie «braver Schüler mag Lehrer» und umgekehrt hinaus und erlaubt es, die „reinen“ Effekte der Lehrer-Kind-Beziehung zu untersuchen.
Es konnten auch andere Faktoren wie kulturelle Unterschiede, Geschlecht, Erziehungsstil, aber auch früheres Problemverhalten als Erklärung ausgeschlossen werden. «Wir haben zwar Zürcher Schüler untersucht, aber aufgrund unseres Verfahrens und der Tatsache, dass andere Studien bei jüngeren Kindern zu ähnlichen Resultaten kamen, glauben wir, dass sich unsere Ergebnisse breit verallgemeinern lassen», meint Studien-Co-Leiter Denis Ribeaud, der an der ETH Zürich für die Datenerhebungen zuständig ist.
Grösserer Effekt als Präventionsprogramme
Erstaunt waren die Forschenden besonders über zwei Aspekte der Langzeitstudie: Erstens, dass sich ein im Alter von zehn Jahren beobachteter positiver Effekt vier Jahre später nach einem erneuten Lehrerwechsel immer noch nachweisen liess, dass er also vergleichsweise lange anhielt. Zweitens, dass ein gutes Schüler-Lehrer-Verhältnis mindestens so stark, wenn nicht sogar stärker zu einem positiven Verhalten beiträgt wie gängige Gewaltpräventionsprogramme. «Diese Programme sind sehr gut und aus unserer Sicht unverzichtbar. Unsere Resultate sollten aber in die Lehrer-Aus- und Weiterbildung einfliessen – damit macht man effektive Gewaltprävention», erklärt Eisner.
Die Studie wurde unterstützt durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und die Jacobs Foundation. (ETH/mc/pg)