Widersprüchliche Motive steuern das Gerechtigkeitsempfinden

Studienteilnehmer waren bereit, jemanden finanziell schlechter zu stellen, um Ungleichheit zu verringern. Doch nur, wenn dabei die ursprüngliche soziale Rangfolge gewahrt wurde. (Bild: hyejin kang / istock.com / UZH)

Zürich – Viele gesellschaftliche Konflikte beruhen auf einer als unfair wahrgenommenen Ressourcenverteilung. Forschende der Universität Zürich haben untersucht, welche Motive die Beurteilung von Verteilungsgerechtigkeit beeinflussen. Sie zeigen, dass dabei nicht nur die Aversion gegen Ungleichheit eine Rolle spielt, sondern auch die Abneigung, jemandem Schaden zuzufügen und bestehende soziale Rangfolgen auf den Kopf zu stellen.

Ist es gerecht, wirtschaftliche Gleichheit zwischen Menschen herzustellen, wenn dadurch einige in ihrem sozialen Status herabgestuft werden und deutlich schlechter dastehen als zuvor? Verteilungsgerechtigkeit ist Gegenstand zahlreicher gesellschaftspolitischer Debatten. Wie die Forschung zeigt, spielen zwei Motive dabei eine besonders wichtige Rolle: Die Aversion gegenüber Ungleichheit und die Abneigung, jemandem Schaden zuzufügen.

Hirnaktivitäten während Umverteilungsexperiment messen
Wie die beiden Motive interagieren, untersuchte ein Forschungsteam um die Neuroökonomen Jie Hu und Christian Ruff von der Universität Zürich. Dazu setzten sie Umverteilungsaufgaben ein, während denen die Hirnaktivität der Probanden mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) aufgezeichnet wurde. Den Versuchspersonen wurden zwei andere Personen mit ungleichem Vermögen präsentiert sowie verschiedene Optionen, um diese Ungleichheit zu verringern. Die Forschenden beobachteten, bei welcher Ausgangsverteilung welche Optionen gewählt wurden. Gleichzeitig ermittelten sie, ob jeweils jene Hirnregionen aktiv sind, die gemäss theoretischen Modellen mit den unterschiedlichen Motiven zusammenhängen.

Ungleichheit reduzieren, aber Hierarchie beibehalten
Die Probanden waren im Allgemeinen bereit, eine Person finanziell schlechter zu stellen, um Ungleichheit zu verringern – besonders wenn die anfängliche Ungleichheit gross war. Allerdings gab es eine Grenze: Eine Umverteilung, bei der die ursprünglich bessergestellte Person plötzlich schlechter gestellt wurde als die andere, wurde nicht gewählt, auch wenn sie insgesamt zu mehr Gleichheit geführt hätte. «Offenbar wird eine solche Umkehr der sozialen Rangfolge als besonders schwerer Fall von Schädigung empfunden», kommentiert Studien-Hauptautor Jie Hu das Resultat.

Überlegungen zu Ungleichheit und Schädigung in verschiedene Hirnregionen
Die fMRT-Messungen während den Umverteilungsaufgaben zeigten, dass Überlegungen zur Ungleichheit mit Aktivität im Striatum zusammenhingen, während Erwägungen zu Schädigung mit Aktivität im dorsomedialen präfrontalen Kortex verbunden waren. Bei Probanden, die sich in ihren Entscheidungen besonders stark sträubten, anderen Schaden zuzufügen, waren die Aktivitätsschwankungen in den beiden Hirnregionen stärker koordiniert. «Möglicherweise beeinflussen die Regionen, die bei Schadenserwägungen aktiviert werden, die mit Ungleichheitsüberlegungen verbundene Aktivität im Striatum oder schwächen sie ab», sagt Co-Autor Christian Ruff. «Aber das muss in weiteren Studien bestätigt werden.»

Zu verstehen, wie unterschiedliche Motive unsere Präferenzen und unser Verhalten beeinflussen, ist für die Diskussion über Umverteilung zentral. Jie Hu veranschaulicht mögliche Implikationen der Studienergebnisse an einem Beispiel: «Eine höhere Besteuerung von Superreichen wird in einer sehr ungleichen Gesellschaft wahrscheinlich leichter akzeptiert als in einer egalitären Gesellschaft, weil dabei die Statushierarchie kaum in Frage gestellt wird.»

Literatur:
Yue Li, Jie Hu, Christian C. Ruff, Xiaolin Zhou. Neurocomputational evidence that conflicting prosocial motives guide distributive justice. PNAS. 29. November 2022. DOI: 10.1073/pnas.2209078119
Universität Zürich

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