Wie stabilisierte Zellfasern Krebszellen am Teilen hindern
Wissenschaftler Andrea Prota montiert eine Proteinkristallprobe für ein Experiment an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz am Paul Scherrer Institut. In solchen Experimenten wird mithilfe von Röntgenstrahlung der exakte Aufbau von Proteinmolekülen bestimmt. (Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)
Zürich – Die unter dem Schlagwort „Chemotherapie“ verwendeten Krebsmedikamente hindern Zellen daran sich zu teilen. Da sich die Zellen in einem wachsenden Tumor häufiger teilen als andere, werden Tumorzellen besonders stark geschädigt. Forscher des Paul Scherrer Instituts und der ETH Zürich haben nun für eine Klasse solcher Medikamente den genauen Wirkmechanismus aufgeklärt.
Die Medikamente „frieren“ die Beweglichkeit der Mikrotubuli – in allen Zellen auftretende feine Fasern – ein und verhindern so, dass die neugebildeten Chromosomen auf die neuen Tochterzellen verteilt werden. So vereiteln sie die Zellteilung. Die Forscher haben im Detail gezeigt, wie die Wirkstoffe in einer Vertiefung in den Bausteinen der Mikrotubuli eingebaut werden und wie sie dabei den Zusammenhalt zwischen diesen Bausteinen verstärken. Dabei wurde deutlich, dass strukturell unterschiedliche Wirkstoffmoleküle an der gleichen Stelle binden und auf ähnliche Weise wirken. Die gewonnenen Informationen über die Strukturen sind so exakt, dass man nun gezielt Medikamente entwickeln könnte, die noch besser an ihre Aufgabe angepasst sind. Einer der untersuchten Wirkstoffe, ein in einem marinen Schwamm vorkommender Naturstoff, wurde an der ETH Zürich synthetisch nachgebaut. Die genauen Strukturen wurden an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz des Paul Scherrer Instituts bestimmt.
Eingriff in die relevanten Zellprozesse
Damit Krebsgeschwüre schnell wachsen können, müssen sich ihre Zellen besonders häufig teilen. Als Chemotherapeutika eingesetzte Medikamente hemmen die Zellteilung, indem sie in die relevanten Zellprozesse eingreifen. Ein solcher Prozess ist die Trennung der Chromosomen, der Träger des genetischen Materials. Die Chromosomen, die für die beiden neuen Zellen bestimmt sind, müssen während der Zellteilung voneinander getrennt und auf die sich neu bildenden Tochterzellen verteilt werden. Für diese Aufgabe sind die Mikrotubuli zuständig – feine Fasern, die in den Zellen zahlreiche Aufgaben erfüllen und an die die Chromosomen zu Beginn des Teilungsprozesses angeheftet werden. Die nötige Beweglichkeit der Mikrotubuli beruht darauf, dass deren Einzelbausteine – Moleküle des Proteins Tubulin – nur locker miteinander verbunden sind. So können sich an den Enden der Mikrotubuli leicht neue Tubulineinheiten anlagern oder auch wegfallen, wodurch sich das Ende der Faser durch die Zelle hindurch bewegen kann.
Bestimmte Krebsmedikamente erschweren den Abbau der Mikrotubuli und schränken dadurch ihre Beweglichkeit soweit ein, dass sie die Chromosomen nicht mehr voneinander trennen können. So verhindern sie schliesslich die Zellteilung. Ein solches Medikament ist das seit den frühen Neunzigerjahren klinisch genutzte Taxol, das in der Rinde der pazifischen Eibe vorkommt, aus der es in den Siebzigerjahren erstmals isoliert wurde. Was aber bis heute unbeantwortet blieb, war die wichtige Frage nach dem molekularen „Wie“: wie also das Taxol und ähnlich wirkende Substanzen den Abbau von Mikrotubuli verhindern und deren Beweglichkeit einschränken oder ganz unterdrücken können.
Wirkstoffe verstärken Bindung
Forscher des Paul Scherrer Instituts und der ETH Zürich haben nun den genauen Wirkmechanismus zweier Wirkstoffe aufgeklärt, die wie das Taxol die Mikrotubuli stabilisieren: Zampanolide, ein aus einem Tiefseeschwamm stammender mariner Naturstoff, und Epothilon A, das aus Bakterien gewonnen werden kann. Beide Substanzen lagern sich in eine Einbuchtung in der Tubulinoberfläche, eine sogenannte „Bindungstasche“, ein. Dabei stabilisieren sie eine bestimmte räumliche Anordnung des Proteins in einem Bereich, der als Bindeglied zwischen benachbarten Tubulinen dient. So wird der Zusammenhalt zwischen einzelnen Tubulineinheiten deutlich verstärkt. Bemerkenswert ist, dass beide Wirkstoffe aus völlig verschiedenen biologischen Quellen stammen und chemisch verschieden aufgebaut sind – dennoch passen beide in die „Molekülbindungstasche“ des Tubulins und entfalten eine ähnliche Wirkung.
Genaue Struktur weist Weg zu besseren Medikamenten
Diese Resultate sind wichtig für die Entwicklung verbesserter Medikamente. Denn die untersuchten Moleküle wirken zwar, aber sie passen beide nicht optimal in die Bindungstasche des Tubulins. „Wir haben jetzt erstmals so genaue Daten über den Aufbau der Bindungsstelle, dass man gezielt Medikamente mit einer Struktur entwickeln kann, die optimal an die Verhältnisse in dieser Bindungsstelle angepasst sind – so wie eine Hand an einen dazu passenden Handschuh“, erklärt Andrea Prota vom Labor für Biomolekulare Forschung des Paul Scherrer Instituts.
Herausforderungen: Wirkstoffmoleküle herstellen, Tubulin kristallisieren
Einer der Wirkstoffe wurde in der Gruppe von Karl-Heinz Altmann an der ETH Zürich synthetisiert. „Die Synthese des Zampanolide-Moleküls stellte eine grosse Herausforderung dar und nahm den grössten Teil einer ganzen Doktorarbeit in Anspruch. Naturstoffe aus marinen Organismen sind in der Regel nur in winzigen Mengen verfügbar, und eine detaillierte Untersuchung solcher Substanzen wird oft erst durch deren synthetischen Nachbau im Labor ermöglicht. So auch im Falle des Zampanolides“ erklärt Altmann. Die genaue Struktur der Wirkstoffe zusammen mit der der umgebenden „Bindungstasche“ im Tubulin-Molekül haben dann die Forschenden an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz des Paul Scherrer Instituts mit dem Verfahren der Proteinkristallografie bestimmt.
Dabei wird das Protein, das untersucht werden soll, zunächst in grosser Menge hergestellt und anschliessend in einer regelmässigen Kristallstruktur angeordnet (mit leerer oder gefüllter „Bindungstasche“). Dieser Proteinkristall wird dann mit Synchrotronlicht aus der SLS durchleuchtet. Daraus, wie das Licht auf dem Weg durch den Kristall abgelenkt wird, lässt sich dann der Aufbau des Proteins bis ins letzte Detail ableiten. „Tubulin-Moleküle neigen stark dazu, sich miteinander zu Fasern zu verbinden – das sollen sie im Kristall aber gerade nicht“, erklärt Michel Steinmetz, Leiter der Arbeitsgruppe Proteinwechselwirkungen am PSI. „So war es für das Experiment ein schwieriges Problem, das Tubulin gezielt so zu manipulieren, dass sich dessen Moleküle regelmässig und höchst präzise in einen Kristall aneinanderreihen – ein Unterfangen, das uns mehr als 10 Jahre Arbeit gekostet hat!“ (PSI/mc/pg)