Von Yvonne Vahlensieck, Universität Basel
Die Nanomedizin verpackt Medikamente in winzige Partikel, um sie wirksamer zu machen. Der Nanopharmazie-Professor Scott McNeil erklärt, welche Chancen die neue Technologie bietet und woran es noch hapert. Etwa beim Zulassungsverfahren, wie das uneinheitliche Vorgehen bei Covid-19-Impfstoffen zeigt.
Herr McNeil, in Ihrer Forschungsgruppe beschäftigen Sie sich mit Nanomedizin und der Entwicklung von Nanopharmazeutika. Was kann man sich darunter vorstellen?
Vereinfacht gesagt handelt es sich dabei um Medikamente, die aus Partikeln bestehen, die zwischen einem und hundert Nanometern klein sind. Ein Nanometer ist etwa 30‘000-mal schmaler als ein menschliches Haar. Ein aktuelles Beispiel sind die neuartigen mRNA-Impfstoffe Spikevax und Comirnaty gegen Covid-19, bei denen die mRNA in winzige Lipidnanopartikel verpackt ist. Aber auch einige ältere Medikamente gehören dazu, etwa Doxil, ein in Lipidkügelchen eingebettetes Krebsmedikament.
Welchen Vorteil haben diese Nanopartikel gegenüber herkömmlichen Medikamenten?
Die Nanopharmazeutika können sowohl wirksamer als auch weniger toxisch sein. Herkömmliche Präparate verteilen sich im ganzen Körper und lösen alle möglichen unerwünschten Nebenwirkungen aus. Wenn das gleiche Molekül in winzige Partikel verpackt wird, kann man damit spezifischere Ziele ansteuern. Ausserdem ist der Wirkstoff in einem Nanopartikel besser vor Angriffen durch das Immunsystem geschützt. Und umgekehrt kann dann beispielsweise ein Krebsmedikament nicht mehr das Immunsystem schädigen.
Trotzdem geht es mit der Nanomedizin recht langsam voran. Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Die Nanomedizin greift oft auf altbekannte Medikamente und Generika zurück, die neu in Nanopartikel verpackt werden. Die Pharmafirmen müssen die zuständigen Gremien und Krankenkassen dann überzeugen, dass diese neue Verpackung den Wirkstoff so viel wirksamer und sicherer macht, dass sich die höheren Produktionskosten lohnen. Die Medikamente kosten in dieser Darreichungsform nämlich zehn- bis hundertmal mehr.
Wieso sind die Nanomedikamente so teuer?
Die Herstellung der Partikel ist sehr aufwendig. Es sind komplexe Substanzen, die oft aus fünf oder sechs verschiedenen Komponenten bestehen, die man nicht einfach zusammenmischen kann. Die grosstechnische Produktion von Partikeln, die alle die gleiche Grösse und Zusammensetzung haben, ist extrem schwierig.
In einem kürzlich im Fachjournal Nature Nanotechnology veröffentlichten Kommentar fordern Sie und Ihre Kollegin Eva Hemmrich einheitliche Regeln für die Zulassung von nanomedizinischen Produkten. Wo liegt das Problem?
Bei der Zulassung von Medikamenten wird generell zwischen aktiven Substanzen und inaktiven Hilfsmitteln unterschieden, die für eine Zulassung alle einzeln in strengen Verfahren auf Sicherheit und Toxizität getestet werden müssen. Bei den Nanopharmazeutika sind sich sowohl die Hersteller als auch die Zulassungsbehörden noch uneins, ob das gesamte Partikel als aktive Substanz betrachtet werden soll, oder ob alle Komponenten einzeln getestet werden müssen.
Sie nennen in Ihrem Artikel als Beispiel für das Dilemma die Zulassung der beiden Covid-19 Impfstoffe Spikevax und Comirnaty. Was war da los?
Die Firma Moderna hat das in Spikevax enthaltene Nanopartikel gesamthaft als aktive Substanz bei der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA zur Zulassung angemeldet. Praktisch gleichzeitig hat Pfizer die vier Lipide des Impfstoffs Cominarty einzeln als Hilfsstoffe eingereicht. Die FDA hat beide Anträge akzeptiert, was zu einer paradoxen Situation führte: Die Behörde hat gleichzeitig zwei sehr ähnliche Impfstoffe nach unterschiedlichen Regeln bearbeitet. Zum Teil waren sogar die gleichen Mitarbeitenden an beiden Verfahren beteiligt.
Sie plädieren nun dafür, einheitliche Regeln für die Nanomedizin zu schaffen, und schlagen vor, das gesamte Nanopartikel als aktive Substanz zu definieren. Warum?
Wenn die Komponenten einzeln auf Sicherheit und Toxizität getestet werden, ergibt sich kein realistisches Bild. Im Körper trägt das ganze Nanopartikel zur Wirkung bei, deshalb ist viel sicherer und aussagekräftiger, es auch als Ganzes zu testen. Zudem dauert es oft mehrere Jahre, bis die Tests für einen neuen Hilfsstoff abgeschlossen sind. Es würde deshalb das Zulassungsverfahren enorm beschleunigen, wenn das ganze Nanopartikel als eine aktive Substanz betrachtet würde. Ausserdem würde auch die Zahl der benötigten Versuchstiere enorm reduziert, wenn nicht so viele Tests gemacht werden müssten.
Wieso mischen Sie sich als Forscher überhaupt in diese Abläufe zwischen Pharmafirmen und Zulassungsbehörden ein?
Diese Vermittlerrolle haben wir uns selbst angeeignet. Ich beschäftige mich seit zwanzig Jahren mit dem Wirkmechanismus von Nanopharmazeutika und bin auch mit allen Aspekten des Zulassungsverfahrens vertraut. Wir haben nun eine Lücke in den Regeln gefunden und möchten das Gespräch darüber in Gang bringen, damit es zu einer Lösung kommt. Damit wollen wir letztendlich dafür sorgen, dass das Feld der Nanomedizin schneller vorankommt.
Wie sehen Sie die Zukunft der Nanomedizin?
Ich glaube wirklich, dass die Nanomedizin die Verabreichung von Medikamenten revolutionieren wird. Die Pharmafirmen haben in der Vergangenheit viele wirksame Moleküle identifiziert, die wegen starker Nebenwirkungen nicht weiter untersucht wurden. Die Nanomedizin erlaubt es nun, diese Substanzen so aufzubereiten, dass wir sie gefahrlos injizieren können. In Zukunft wird die Nanomedizin also nicht nur bereits bekannte Medikamente neu verpacken, sondern auch neuartige Wirkstoffe auf den Markt bringen. (Universität Basel/mc/ps)
Scott McNeil: Zwischen Labor und US-Armee
Scott McNeil übernahm 2020 eine Stiftungsprofessur für Nanopharmaceutical and Regulatory Science am Pharmazentrum der Universität Basel. Der studierte Chemiker und Zellbiologe war zuvor Direktor des Nanotechnology Characterization Laboratories am amerikanischen National Cancer Institute. Zudem diente er zwanzig Jahre lang in der US-Armee. Mit seinem Team untersucht McNeil Fragen zur Zulassung und Sicherheit von Nanopharmazeutika und forscht nach nanomedizinischen Wirkstoffen für die Behandlung von erblichen lysosomalen Speicherkrankheiten, bei denen sich aufgrund eines fehlenden Enzyms schädliche Stoffwechselprodukte im Körper ansammeln.
Forschungsgruppe Scott McNeil