Adriano Aguzzi, Professor der Universität Zürich sowie des Universitätsspitals Zürich. (Foto: Frank Brüderli)
Zürich – Mutieren Prion-Proteine, lösen sie Rinderwahn und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit aus. Obwohl sie in fast jedem Organismus vorkommen, blieb die Funktion dieses Eiweisses bislang ungeklärt. Forschende der Universität Zürich und des Universitätsspitals Zürich haben nun nachgewiesen, dass Prion-Proteine zusammen mit einem bestimmten Rezeptor für die Gesundheit der Nerven verantwortlich sind. Daraus könnten sich neue Therapien für chronische Nervenkrankheiten ergeben.
Seit der Entdeckung des Prion-Gens im Jahr 1985 blieb dessen Rolle und biochemische Wirkung in den Nervenzellen mysteriös. «Wir können dem Prion-Protein nun endlich eine klar umrissene Funktion zuweisen und aufzeigen, dass zu es im Verbund mit einem bestimmten Rezeptor für die langfristige Intaktheit der Nerven zuständig ist», sagt Prof. Adriano Aguzzi vom Neuropathologischen Institut der Universität Zürich und des Universitätsspitals Zürich. Die vorliegende Studie klärt somit eine Frage, welche seit 30 Jahren intensiv untersucht, aber nie abschliessend beantwortet worden ist.
Prionen sind gefährliche Krankheitserreger, die bei Mensch und Tier fatale Degenerationen des Gehirns auslösen. In den 1990er Jahren waren sie für die als Rinderwahnsinn bekannte BSE-Tierseuche verantwortlich. Beim Menschen lösen sie die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und andere neurologische Störungen aus, die nicht therapierbar sind und tödlich verlaufen. Inzwischen weiss man, dass die infektiösen Prionen aus einer falsch gefalteten Form eines normalen Prion-Proteins PrPC bestehen, das in der Membran der Nervenzellen vorkommt. Die infektiösen Prionen vermehren sich, in dem sie das PrPC kidnappen und es in weitere infektiöse Prionen umwandeln.
Fehlende Prion-Proteine führen zu Nervenkrankheiten
Lange war unklar, weshalb wir Menschen – wie die meisten anderen Organismen – ein Protein in den Nervenzellen aufweisen, das keine offensichtliche Aufgabe besitzt, aber höchst gefährlich werden kann. Als Prionenforscher beschäftigt sich Aguzzi seit Jahrzehnten mit dieser Frage und untersucht die Theorie, dass Tiere, die das PrPC-Gen nicht besitzen, resistent gegen Prionen-Erkrankungen sind. Aber welche Folgen hat dies für den Organismus, wenn das Prion-Protein ausgeschaltet wird?
Aguzzi fand mit seinem Team vor einigen Jahren heraus, dass Mäuse ohne PrPC-Gen an einer chronische Erkrankung der peripheren Nerven leiden. Der Grund: Die sogenannten Schwann-Zellen um die empfindlichen Nervenfasern herum bilden keine elektrische Isolationsschicht mehr, um diese zu schützen. Durch dieses Defizit an isolierendem Myelin erkranken die peripheren Nerven und es kann zu motorischen Störungen des Bewegungstraktes und zu Lähmungen kommen.
Nun gingen die Forschenden im Labor einen Schritt weiter: In einer neuen Studie klären Alexander Küffer und Asvin Lakkaraju, warum genau die peripheren Nerven geschädigt werden, wenn kein Prion-Protein PrPC vorhanden ist. Sie entdeckten, wie das von Neuronen hergestellte PrPC an den Schwann-Zellen andockt: nämlich über einen Rezeptor namens «Gpr126». Agieren das Prion-Protein und der Rezeptor gemeinsam, erhöht sich ein bestimmter Botenstoff (cAMP), der das chemische Zusammenspiel in den Zellen reguliert und für das Wohlerhalten der Nervenschutzhülle essentiell ist. «Gpr126» gehört zur grossen Familie der «G-Protein-gekoppelten» Rezeptoren, die an vielen physiologischen Prozessen und Erkrankungen beteiligt sind.
30 Jahre alte Forschungsfrage endlich geklärt
Dieser Befund löst nun eine wichtige Frage, die Neurowissenschaftler schon seit langem umtreibt und weist den Weg zu künftigen Anwendungen in der Klinik. «Will man bei möglichen Therapien gegen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit das Prion-Protein PrPC ganz ausschalten, muss man sich künftig der potentiellen Nebenwirkung auf die Nerven bewusst sein», erklärt Aguzzi. Zudem könnte sich aus den vorliegenden Erkenntnissen über die Wirkungsweise des PrPC auf molekularer Ebene ein neuer Ansatz für periphere Neuropathien ergeben. Für diese belastenden chronische Erkrankungen des Nervensystems bestehen derzeit nur sehr eingeschränkte Therapiemöglichkeiten. (UZH/mc/ps)
Literatur:
Alexander Küffer, Asvin K. K. Lakkaraju, Amit Mogha, Sarah C. Petersen, Kristina Airich, Cédric Doucerain, Rajlakshmi Marpakwar, Pamela Bakirci, Assunta Senatore, Arnaud Monnard, Carmen Schiavi, Mario Nuvolone, Bianka Grosshans, Simone Hornemann, Frederic Bassilana, Kelly R. Monk & Adriano Aguzzi. The prion protein is an agonistic ligand of the G-protein-coupled receptor Gpr1/Adgrg6. Nature, 8 August 2016. doi:10.1038/nature19312