Zürich – Ein Drittel der Schweizer Landesfläche – rund 13’800 km² – eignet sich für den Wolf als Lebensraum. Doch nur auf rund 2’500 km² davon würde er auch geduldet. Die Gebiete, die der Wolf kurz- bis mittelfristig besiedeln könnte, liegen mehrheitlich im Jura sowie in den Bündner Alpen und im Tessin. Dies zeigt eine Studie des Instituts für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich.
In der Schweiz wurde der Wolf Ende des 19. Jahrhunderts ausgerottet. Ab 1995 kehrte er auf natürliche Weise zurück, nachdem er gesetzlich unter Schutz gestellt worden war. Sein bevorzugtes Habitat zeichnet sich aus durch hohe Wildbestände, geringe Bevölkerungsdichte, mittlere Höhenlage und viel Wald. Etwa ein Drittel der Schweizer Landesfläche – rund 13’800 km² – eignet sich als Lebensraum für den Wolf. Doch verglichen mit anderen Regionen in Mitteleuropa hat sich hierzulande der Wolfsbestand auffallend langsam entwickelt. Da sich der Wolf in einer vom Menschen geprägten Landschaft wiederfindet, wird vermutet, dass für seine Ausbreitung nebst ökologischen Bedingungen auch die Akzeptanz der Bevölkerung relevant ist. Drei UZH-Forscher zeigen nun, wo in der Schweiz die Bevölkerung den Wolf duldet und er gleichzeitig ein geeignetes Habitat vorfindet.
Hohe Akzeptanz im Mittelland und Jura
Ein Drittel der 10’000 zufällig ausgewählten, in der Schweiz wohnhaften, Personen nahm an der Umfrage über die Einstellung zum Wolf teil. Mit seinen Ko-Autoren erstellte Dominik Behr daraus ein landesweites Modell für die räumliche Verteilung der Akzeptanz des Wolfs. Diese nimmt mit zunehmender Höhenlage des Wohnortes ab und verschlechtert sich zusätzlich an höher gelegenen Orten, wo viele Schafe und Ziegen gehalten werden. Mit zunehmender Entfernung zum Wolf und in dicht besiedelten Gebieten nimmt die Akzeptanz zu.
«Unser Modell prognostiziert eine hohe Akzeptanz für das Mittelland und den Jura», fasst Dominik Behr zusammen. Im Alpenraum zeigt sich ein gemischtes Bild: In den östlichen und südlichen Alpen kommen Gebiete vor, in denen der Wolf sowohl akzeptiert als auch abgelehnt wird. In den zentralen und westlichen Alpen – vor allem im Kanton Uri und Wallis – dominiert eine mehrheitlich ablehnende Haltung. Wer den Wolf ablehnt, ist überzeugt, dass er für den Menschen gefährlich ist und Schaf-, Ziegen- sowie Wildbestände schädigt. «Jüngere Personen und jene, die der Meinung sind, dass der Wolf eine wichtige Rolle im Ökosystem spielt, beurteilen ihn als positiv», so Dominik Behr.
Sechs Prozent der Landesfläche geeignet
Im letzten Teil der Studie überlagerten die Forscher die Karte der räumlichen Verteilung der Akzeptanz mit jener Karte, die die geeigneten Wolfshabitate umfasst. «Wir stellten fest, dass unter Berücksichtigung der menschlichen Akzeptanz lediglich sechs Prozent der Schweizer Landesfläche beste Lebensbedingungen für den Wolf bieten», erklärt Dominik Behr. «Es gibt nur wenige Gebiete mit geeigneten ökologischen Lebensbedingungen, welche von Menschen bewohnt sind, die den Wolf dulden». Diese Gebiete lagen mehrheitlich im Jura, in den Bündner Alpen und im Tessin.
Bessere Vorhersagen zur Ausbreitung
Die Studie liefert einen neuen Ansatz für eine bessere Vorhersage jener Gebiete, die sich für die kurz- bis mittelfristige Ausbreitung des Wolfs in der Schweiz am besten eignen. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass natürliche Ausbreitungsprozesse stark von menschlichen Faktoren abhängig sind. Dank der gleichzeitigen Betrachtung von sozialen und ökologischen Aspekten kann unser Ansatz helfen, potentielle Konfliktgebiete zwischen Mensch und Wolf frühzeitig zu erkennen. In diesen Gebieten kann der Dialog zwischen den unterschiedlichen Interessenvertretern aktiv gesucht werden», resümiert Studienleiter Gabriele Cozzi. «Der Wolf wird nur dann von der Bevölkerung akzeptiert, wenn es gelingt, dessen positive Auswirkung auf Ökosysteme hervorzuheben und die Ängste vor diesem Raubtier abzubauen.»
Verfahren auch auf andere Tierarten anwendbar
Das von den UZH-Forschern entwickelte Verfahren eignet sich nicht nur für den Wolf, sondern generell auch für andere Tierarten. «Als Wildtierbiologen haben wir ein gutes Verständnis der ökologischen Faktoren, die den Lebensraum einer Wildtierart bestimmen. Aufgrund der zunehmenden räumlichen Überlappung von Mensch und Tierwelt sind wir jedoch gezwungen, die menschliche Einstellung in unsere ökologische Betrachtungsweise zu integrieren. Diese Studie zeigt einen möglichen Ansatz auf», sagt Arpat Ozgul, Professor am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der UZH. (Universität Zürich/mc/ps)
Literatur:
Dominik M. Behr, Arpat Ozgul, Gabriele Cozzi. Combining human acceptance and habitat suitability in a unified socio-ecological suitability model: a case study of the wolf in Switzerland. Journal of Applied Ecology. February 17, 2017. doi 10.1111/1365-2664.12880