Die Schweiz hortet Millionen funktionstüchtige, ungenutzte Geräte und Gegenstände
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Schweizer Online-Marktplatz Ricardo haben im Rahmen des diesjährigen Secondhand Day zusammengespannt und eine neue Studie zum Stand des nachhaltigen Konsums in der Schweiz veröffentlicht. Die Studie zu den «6R» (Reduce, Reuse, Repurpose, Repair, Return und Reshare) präsentiert neue Ergebnisse darüber, wie nachhaltig die Schweiz bei der Anschaffung, Nutzung und Post-Nutzung ausgewählter Produkte agiert. Die Studie belegt erfreulicherweise, dass bei über 50 Prozent der Schweizer Bevölkerung die Bereitschaft da ist, nachhaltig zu konsumieren und umweltfreundlich zu handeln.
Die 6R-Studie dient als Grundlage, um den aktuellen Stand des nachhaltigen Konsums zu evaluieren und dessen zukünftige Entwicklungen zu messen. «Uns war es wichtig, den aktuellen Stand des nachhaltigen Konsum deskriptiv darzustellen und dabei tiefer auf die Gründe einzelner Handlungen wie Reduktion des Konsumlevels oder das Reparieren, Weitergeben, Entsorgen und Behalten von Gegenständen einzutauchen», so Valerio Stallone, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Marketing Management der ZHAW. 1’505 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zu ihrem Konsumlebenszyklus befragt. Im Fokus der Studie stand die Anschaffung, Nutzung und Post-Nutzung von ausgewählten Produktkategorien wie Textilien, Möbel und Elektronik. Aus den erhobenen Daten haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine repräsentative Studie hinsichtlich Sprachregion, Alter sowie Geschlecht durchgeführt.
Anschaffung: Die Schweiz konsumiert bedacht und nachhaltig
Die Studie ergab, dass über 65 Prozent der Befragten ihren allgemeinen Konsum zu reduzieren versuchen und sich mit dem zu begnügen, was sie bereits besitzen. Dass sich die Schweiz um einen nachhaltigen Konsum bemüht, zeigt die rund Hälfte der Befragten, die bevorzugt umweltfreundliche Produkte kaufen, sofern dies möglich ist. Obwohl die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereit sind, bewusster zu konsumieren, möchten sie nicht komplett auf Produkte verzichten, die der Umwelt schaden. Dies belegen die 55 Prozent, die bestätigt haben, dass sie nicht auf ihre Lieblingsmarken verzichten würden, um auf eine nachhaltigere Alternative zu wechseln. Bei der Anschaffung von verschiedenen Produktgruppen zeigen sich deutliche Unterschiede im Konsumverhalten: Bei Bekleidung gaben 20 Prozent der Befragten an, häufig neue Kleider zu kaufen, auch wenn die alten Kleidungsstücke noch in Ordnung sind. Bei Möbeln trifft das nur bei 3 Prozent der Befragten zu.
Nutzung: Die Schweiz hegt, pflegt und repariert Gegenstände
Die aktuelle ZHAW-Studie brachte zu Tage, dass in der Schweizer Bevölkerung bei der Nutzung von Produkten eine nachhaltige Achtsamkeit gepflegt wird: 83 Prozent der Befragten gaben an, ihre Gegenstände so lange wie möglich zu nutzen, um die Umwelt zu schützen. 76 Prozent gaben dabei in der Befragung an, ihr Mögliches zu geben, damit ihre Gebrauchsgüter länger halten. Lediglich 11 Prozent ersetzen häufig Gegenstände, obwohl sie noch in gutem Zustand sind. Und wenn mal etwas kaputt geht, zeigen sich 70 Prozent der Befragten für eine Reparatur bereit, um die Nutzungsdauer zu verlängern.
Nach der Nutzung: Über 3 Millionen Haushalte in der Schweiz horten funktionstüchtige elektronische Geräte
Während aus der aktuellen Studie hervorgeht, dass die Schweiz bei der Anschaffung und Nutzung von Gebrauchsgütern äusserst nachhaltig konsumieren und achtsam agieren, variieren beim letzten Konsum-Lebenszyklus – der Post-Nutzung – die Resultate je nach Produktkategorie. Der letzte Akt einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft, ungenutzte Dinge weiterzugeben und damit ihren Lebenszyklus zu verlängern, wird je nach Produkt anders vollzogen.
Besonders erstaunlich dabei ist der Vergleich von Kleidung und Elektronik: Wird ein Kleidungsstück nicht mehr getragen, gibt es die grosse Mehrheit der Teilnehmenden, rund 78 Prozent weiter. Dabei werden ungenutzte Kleidungsstücke am häufigsten gespendet (Sammelcontainer) und verschenkt. Ganz anders sieht es bei noch funktionstüchtigen, aber nicht mehr genutzten elektronischen Geräten aus: 40 Prozent der Befragten gaben an, dass sie mindestens ein intaktes Handy oder Smartphone zu Hause liegen haben, 36 Prozent eine Fotokamera, bei 27 Prozent lagern Laptops oder Tablets und bei 25 Prozent der Befragten liegt zu Hause ein ungenutztes Videogame oder eine -konsole. Wird diese Zahl auf die Schweiz hochgerechnet, besitzen beispielsweise über drei Millionen Schweizerinnen und Schweizer funktionstüchtige Handys oder Smartphones, die nicht mehr benutzt, aber auch nicht weitergegeben werden.
Auch die Entsorgungsrate von ungenutzten, intakten Gegenständen variiert von Produkt zu Produkt: Während nicht mehr genutzte elektronische Geräten zu fast 30 Prozent einfach entsorgt werden, entspricht dieser Anteil bei Baby- und Kinderartikeln nur 7 Prozent. Dass der Kreislauf von elektronischen Geräten so wenig genutzt wird, ist ein ernüchterndes Ergebnis, so Francesco Vass, Managing Director von Ricardo: «Es ist überraschend, wie viele Personen funktionstüchtige Elektronik zu Hause horten, ohne sie zu nutzen. Diese Geräte verlieren täglich an Wert und könnten anderswo eine sinnvolle Verwendung finden.»
Podiumsdiskussion zur «6R»-Studie am Swiss Sustainability Forum
Beim diesjährigen Swiss Sustainability Forum in Bern wurde am 24. September 2022 im Rahmen des Secondhand Day die «6R»-Studie zum ersten Mal vorgestellt, die in Zusammenarbeit zwischen Ricardo und der ZHAW entstanden ist. In einer anschliessenden Podiumsdiskussion wurde über die aktuelle Umsetzung und das Potenzial dieser Konzepte der «Wiederverwendung» oder «Reparatur» unserer Alltagsgüter gesprochen und die dafür notwendigen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen diskutiert. Am Podium diskutierten Nadine Masshardt, Nationalrätin und Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz, Francesco Vass von Swiss Marketplace Group, Joëlle Hérin von Greenpeace und der Coalition “Lang leben die Produkte” sowie Valerio Stallone von der ZHAW. Moderiert wurde der Anlass von Annina Campell. (Secondhand Day/mc/ps)
Download Studie (pdf)
Über den Secondhand Day
Die Initiative wurde 2020 von Ricardo, myclimate und Circular Economy Schweiz ins Leben gerufen. Die Schweizer Bevölkerung produziert pro Kopf jährlich im Schnitt 14 Tonnen CO2. Ein grosser Teil davon ist auf den persönlichen Konsum zurückzuführen. Dabei entsteht der individuelle CO2-Fussabdruck weniger bei der Nutzung von Gütern als vielmehr bei deren Produktion, Transport und Entsorgung. Das Konsumverhalten bietet enormes Spar- und Veränderungspotenzial. Der Secondhand Day soll ein nationales Gespräch darüber starten und zu einem besseren Umgang mit der Umwelt animieren. Er soll zeigen, dass nachhaltiges Handeln möglich und einfach ist. Die Initiative soll nicht zum Verzicht aufrufen, sondern mit kleinen Schritten in die richtige Richtung gehen.
www.secondhandday.ch