Zürich – Wird Rübsenkohl (ein naher Verwandter des Raps) von Hummeln bestäubt, führt dies zur Evolution von attraktiveren Blüten. Diese Entwicklung wird beeinträchtigt, wenn gleichzeitig Raupen den Kohl befallen. Die Hummeln bestäuben die Pflanzen nun weniger gut, so dass diese sich vermehrt selbst bestäuben. Wie stark sich die Effekte von Nütz- und Schädling gegenseitig beeinflussen, zeigen Forscher der Universität Zürich in einem Evolutionsexperiment im Gewächshaus.
Pflanzen interagieren in der Natur mit verschiedensten Organismen, was sich laufend auf die Evolution bestimmter Merkmale auswirkt. Während Bestäuber Blüteneigenschaften und Fortpflanzung beeinflussen, verändern Frassinsekten die pflanzlichen Abwehrmechanismen. Wie sich diese Interaktionen gegenseitig beeinflussen, und wie rasch sich Pflanzen anpassen, wenn die Zusammensetzung der Interaktionspartner ändert, haben Pflanzenforscher der Universität Zürich (UZH) nun untersucht.
«Experimentelle Evolution» in Echtzeit
In einem zwei Jahre dauernden Gewächshausversuch konnten Florian Schiestl, UZH-Professor am Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik, und Doktorand Sergio Ramos zeigen, dass die Effekte von Bestäuberinsekten und jene von Pflanzenfressern in starker Wechselbeziehung miteinander stehen. Für ihre Studie verwendeten sie Rübsenkohl (Brassica rapa), ein naher Verwandter des Raps, sowie Hummeln und Schmetterlingsraupen als Interaktionspartner. Über sechs Generationen behandelten sie die Pflanzen in vier verschiedenen Gruppen: mit Hummeln allein bzw. zusammen mit Raupen sowie von Hand bestäubt ohne bzw. mit Raupenfrass.
Balance zwischen Anziehung und Verteidigung
Nach dieser «experimentellen Evolution» zeigte sich, dass die von Hummeln bestäubten Pflanzen ohne Raupenfrass am attraktivsten für die Bestäuber waren – sie dufteten stärker und hatten grössere Blüten. «Diese Pflanzen hatten sich während des Experiments an die Vorlieben der Hummeln angepasst», sagt Sergio Ramos. Pflanzen, die mit Hummeln und Raupen behandelt wurden, waren dagegen weniger attraktiv. Sie hatten höhere Konzentrationen von giftigen Abwehrstoffen, weniger Blütenduft und tendenziell kleinere Blüten. «Die Raupen beeinträchtigten die Evolution attraktiverer Blüten, da die Pflanzen mehr Ressourcen in ihre Verteidigung investierten», so Ramos.
Kombinierter Einfluss auf die Fortpflanzung
Die starke Wechselwirkung zwischen den Effekten von Hummeln und Raupen zeigte sich auch in den Fortpflanzungseigenschaften: Im Zuge der Evolution entwickelten von Hummeln bestäubte Pflanzen etwa die Tendenz zur spontanen Selbstbestäubung – allerdings nur, wenn sie gleichzeitig von Schmetterlingsraupen befallen waren. Pflanzen mit Raupenfrass bilden weniger attraktive Blüten, was sich auf das Verhalten der Hummeln auswirkt: Sie bestäuben diese Blüten weniger gut.
Mechanismen der Evolution besser verstehen
Die Studie zeigt, wie bedeutend interaktive Effekte für die Entwicklung der Vielfalt sind. Ändert sich die Zusammensetzung der Interaktionspartner – etwa durch Habitatverlust, Klimawandel oder Bestäuberrückgang – kann dies einen raschen evolutiven Wandel der Pflanzen bewirken. «Die vom Menschen verursachten Umweltveränderungen beeinflussen das evolutionäre Schicksal einer Vielzahl von Organismen – mit Folgen für Ökosystemstabilität, Biodiversitätsverlust und Ernährungssicherheit», sagt Florian Schiestl. Noch nie sei das Verständnis für diese Mechanismen so relevant gewesen wie heute, so der Forscher. (UZH/mc/pg)