Europa fordert Konsequenzen nach Zuwanderungs-Votum der Schweiz
«Die Schweiz hat sich vor allem selbst geschadet»: Deutschlands Aussenminister Frank-Walter Steinmeier.
Bern – Die Schweiz hat sich mit dem Votum für eine strikte Begrenzung der Zuwanderung ins europäische Abseits gestellt. Schon kurz nach der Volksabstimmung wurde im europäischen Ausland der Ruf nach Konsequenzen laut. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartete grosse Probleme. Frankreichs Aussenminister Laurent Fabius sagte: «Wir werden die Beziehungen zur Schweiz überdenken.» Kritik kam auch vom luxemburgischen Ressortchef Jean Asselborn: «Das wird Konsequenzen haben, das ist deutlich», sagte er . «Man kann die Freizügigkeit nicht verramschen.» Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnte vor «Rosinenpickerei». Die italienische Ressortchefin Emma Bonino resümierte: «Die Auswirkung ist eher beunruhigend».
«Die Bundesregierung nimmt das Ergebnis dieser Volksabstimmung zur Kenntnis und respektiert es, es ist aber durchaus auch so, dass aus unserer Sicht dieses Ergebnis erhebliche Probleme aufwirft», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Es sei an der Schweiz, auf die Europäische Union zuzugehen und ihr darzulegen, wie sie mit dem Ergebnis umgehen wolle. Es würden schwierige Gespräche zu führen sein.
Steinmeier: «Schweiz hat sich selbst geschadet»
Die Schweizer hatten sich am Sonntag in einer Volksabstimmung mit sehr knapper Mehrheit dafür ausgesprochen, die Zuwanderung von Ausländern generell, also auch aus der EU, zu begrenzen.
«Ich glaube, dass die Schweiz sich mit diesem Ergebnis eher selbst geschadet hat», sagte Steinmeier. Faire Beziehungen bedeuteten auch, dass man bereit ist, die vielen Vorteile aus einer solchen Beziehung ebenso zu tragen wie Lasten oder Nachteile, die sich daraus ergeben könnten.
Verträge erstmal weiter gültig
Mehrere Aussenminister und die EU-Kommission machten in Brüssel deutlich, dass mit dem Ausgang der Volksabstimmung nicht direkt Verträge zwischen dem Land und der EU wackeln. «Der Ball ist jetzt im Feld der Schweiz», sagte Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde. «Es ist Sache der Schweiz, welche Konsequenzen sie spezifisch aus diesem Votum zieht.» Die Regierung in Bern muss laut Verfassung binnen drei Jahren das Anliegen umsetzen.
Der deutsche Europaabgeordnete Andreas Schwab (CDU) forderte ein Ende der vertraglichen Beziehungen zur Schweiz. Die EU müsse ihre mit dem Land geschlossenen Abkommen auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls kündigen, sagte Schwab am Montag der dpa in Freiburg. «Notwendig ist jetzt eine entschiedene Reaktion der EU.»
Unternehmen in Sorge
Die Schweizer Unternehmen fürchten nach der Volksabstimmung, keine guten Mitarbeiter aus dem Ausland zu bekommen. Angesichts der Aussicht, möglicherweise ohne Familie ins Land ziehen zu müssen, werde die Qualität der Bewerber abnehmen, sagte der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, der «Neuen Zürcher Zeitung» (Montag). Gut ausgebildete Kandidaten, «die unter mehreren Angeboten auswählen können, werden das nicht mit sich machen lassen. Ich würde das übrigens auch nicht tun», sagte Vogt. Die jetzt eintretende Unsicherheit sei sehr schädlich. «Unsicherheit ist die schlechteste Nachricht für die Wirtschaft.»
Aktuelle Verträge mit den vielen deutschen Fachkräften im Land, es leben fast 300 000 Deutsche in der Schweiz, sind nicht betroffen. Die Schweizer Regierung hat nach dem Willen des Volkes drei Jahre Zeit, die Höchstgrenzen für die Zuwanderung festzulegen.
Krise?
Die Schweizer hatten sich am Sonntag in einer Volksabstimmung überraschend dafür ausgesprochen, die Zuwanderung von Ausländern generell zu begrenzen. Mit 50,3 Prozent fiel die Zustimmung für die Initiative der national-konservativen Schweizer Volkspartei (SVP) «Gegen Masseneinwanderung» denkbar knapp aus.
Eine tiefe innenpolitische Krise in der Schweiz halten Experten für eher unwahrscheinlich. Alle Seiten seien angesichts einer florierenden Wirtschaft an einer raschen Lösung interessiert, sagte am Montag der Politologe Lukas Golder vom Forschungsinstitut gfs.bern. Dies sei völlig anders als 1992, als die Schweizer den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ablehnten. Das unerwartete «Ja» der Schweizer für eine Begrenzung der Zuwanderung sei auch Ausdruck eines Protests. «Es war ein Denkzettel.»
Der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) sei es in den wenigen Wochen vor der Abstimmung mit einer Verschärfung des Tones gelungen, speziell die Landbevölkerung zu mobilisieren. «Die empfundenen Probleme im Alltag waren deutlich wichtiger als abstrakte ökonomische Argumente», sagte Golder. (awp/mc/upd/ps)