Zürich – Die erneut rekordtiefen Zinsen schicken den Zyklus des Schweizer Immobilienmarktes in die x-te Verlängerung. Das hat mehrere Konsequenzen: Die Negativzinsen machen Wohneigentum unerschwinglich und wider Erwarten knapp. Sie dürften Privatanleger zudem verstärkt zum Kauf und zur Vermietung von Wohnungen animieren. Indirekt fördern die tiefen Zinsen auch das Preisgefälle zwischen Zentrum und Peripherie, was die Pendlerströme weiter erhöhen dürfte. Aktuell verlassen bereits mehr als drei Millionen Pendler täglich ihren Wohnort auf dem Weg zur Arbeit oder Ausbildung. Die Negativzinsen stehen aber auch am Ursprung der wachsenden Leerstände von Mietwohnungen. Gemäss den Ökonomen der Credit Suisse kommen dabei die nicht mehr ganz neuen Wohnungen am stärksten unter Druck.
Negativzinsen dominieren die Zinslandschaft. Die Zentralbanken lassen keinerlei Absicht erkennen, von ihrer für den Schweizer Immobilienmarkt zu expansiven Geldpolitik abzurücken. Die Anleger müssen sich folglich auf weitere Jahre mit negativen Zinsen einstellen. Unterdessen sinken die Vermögensschwellen, ab denen Sparern negative Zinsen berechnet werden. Anleger und Investoren suchen daher nach Möglichkeiten, um mit überschaubaren Risiken eine real positive Rendite zu erzielen. Auf dem Immobilienmarkt werden sie fündig, was den Anlagedruck auf Renditeimmobilien aufrecht erhält und den bereits bestehenden Superzyklus in eine weitere Verlängerung schickt.
Die Angst vor Negativzinsen treibt Anleger zum Buy-to-let
Privatanleger folgen auf der Suche nach sicheren Geldanlagen dem Beispiel finanzkräftiger Investoren und kaufen Wohnobjekte, um diese zu vermieten (Buy-to-let). Da Mehrfamilienhäuser im heutigen Umfeld kaum noch erschwinglich sind, werden Eigentumswohnungen und vereinzelt Einfamilienhäuser aufgekauft. Dank tiefer Hypothekarzinsen können die Anleger damit ansehnliche Renditen erzielen. Seit Ausbruch der Finanzkrise hat der Anteil solcher Buy-to-let-Finanzierungen bei Hypotheken-Neuabschlüssen auf 17% zugenommen. Mit anderen Worten: Jede sechste Eigentumswohnung wird von privaten Investoren zwecks Vermietung gekauft.
Typischerweise stehen diese Objekte an guten Lagen. Mehr als die Hälfte aller Buy-to-let-Objekte befinden sich in Zentren oder deren Umland, wo die Nachfrage nach Mietwohnungen robust ist. Nicht überall lässt sich jedoch mit Buy-to-let eine positive Rendite erzielen. Entscheidend ist das Verhältnis der lokalen Wohneigentumspreise zu den lokal erzielbaren Mieten. An sehr guten Lagen ist Wohneigentum so teuer, dass nur eine sehr geringe Rendite resultiert. Hinzu kommen Zinsänderungs- und Leerstandsrisiken, die zu problematischen Situationen führen können. Trotz solcher Risiken wird die vermehrte Überwälzung von Negativzinsen auf Privatkunden in Zukunft noch mehr Anleger in die Arme von Buy-to-let treiben. Weil erstens aber auch deren Besitzer den strengen Finanzierungsrichtlinien unterworfen sind und zweitens knapp 90% der Kreditnehmer nur ein einziges derartiges Objekt besitzen, sind die volkwirtschaftlichen Risiken bis anhin recht überschaubar.
Negativzinsen machten Wohneigentum gesucht, teuer und dazu noch knapp
Mehr als fünf Jahreseinkommen sind im Durchschnitt für den Erwerb einer Eigentumswohnung nötig, und mehr als sieben für ein Einfamilienhaus. In den teuersten Regionen der Schweiz sind sogar zehn Jahreseinkommen noch nicht hinreichend. Es gibt sie aber noch, die Regionen, wo weniger als vier mittlere Jahreseinkommen genügen. Allerdings zählen diese Regionen zu den abgelegensten der Schweiz. Noch schwieriger gestaltet sich die Erfüllung der kalkulatorischen Tragbarkeit, sodass Wohneigentum für den Durchschnittshaushalt derzeit unerschwinglich ist. Der limitierende Faktor auf dem Wohneigentumsmarkt ist jedoch nicht die Nachfrage, sondern erstaunlicherweise das Angebot. Für Immobilienentwickler ist der Bau von Mietwohnungen schlicht einfacher und lukrativer, weil institutionelle Investoren wegen der Negativzinsen für den Kauf solcher Überbauungen Schlange stehen. Folglich entsteht zu wenig Wohneigentum, und es machen sich Knappheitserscheinungen bemerkbar. Aus diesem Grund werden die Eigentumspreise 2020 erneut steigen.
Ein Volk von Pendlern
Auf der Suche nach sicheren Anlagen, die real noch einen positiven Ertrag abwerfen, fokussieren die Investoren auf Immobilien an guten – sprich urbanen – Lagen. Das Preisgefälle zum Umland weitet sich daher aus und sorgt dafür, dass Wohn- und Arbeitsort immer öfter und immer weiter auseinander liegen. Täglich wiederholt sich somit das Schauspiel einer kleinen Völkerwanderung, denn mittlerweile verlassen mehr als 3 Mio. Pendler täglich ihre Wohngemeinde, um zur Arbeit oder in eine Ausbildungsstätte zu gelangen. Pro Weg sind die Pendler im Durchschnitt über eine halbe Stunde unterwegs. Die mobilen Pendler entlasten damit die angespannten Wohnungsmärkte der Grosszentren und fördern die Wohnungsabsorption in der Agglomeration. Für Bauherren liefert die Auswertung von Pendlerdaten aufschlussreiche Hinweise auf das Nachfragepotenzial von Wohnungssuchenden in der Agglomeration und von potenziellen Büromietern in kleinen und grossen Arbeitsmarktzentren der Schweiz.
Der Leerstand trifft die nicht mehr ganz neuen Mietwohnungen
Weder von der Zuwanderung noch von der Konjunktur sind im laufenden Jahr Wachstumsimpulse für den Mietwohnungsmarkt auszumachen. Die Ökonomen der Credit Suisse erwarten folglich eine stärkere Zunahme der leerstehenden Wohnungen als im letzten Jahr. Die bereits heute relativ lange Vermarktungsdauer neuer Mitwohnungen dürfte dadurch noch länger werden. Die höchsten Leerstände verzeichnen interessanterweise weder die alten noch die brandneuen Wohnungen, sondern die nicht mehr ganz taufrischen. Es handelt sich bei diesem Problemsegment um teuer am Markt positionierte Mietwohnungen im Alter von drei bis sechs Jahren, bei denen die Erstmieter wieder ausgezogen sind. Wohnungen mit eher klein geschnittenen Zimmern sind diesem Risiko weniger stark ausgesetzt, wie die Ökonomen der Credit Suisse belegen können. Sie weisen bis zu einem Gebäudealter von sechs Jahren deutlich geringere Leerstände auf. Die Mietpreise dürften aufgrund der wieder etwas rascher steigenden Leerstände erneut stärker unter Druck geraten. Einzig in den fünf Grosszentren und wenigen Mittelzentren werden die Mietpreise noch leicht zunehmen.
Kein High Noon on High Streets
Die Haupteinkaufsstrassen des Schweizer Detailhandels spüren den Strukturwandel ebenfalls. Doch im Unterschied zum Gesamtmarkt verfügen die Top-Einkaufsmeilen der Grossstädte über gewichtige Alleinstellungsmerkmale. Ihre einzigartigen Lagequalitäten sichern ihnen hohe Frequenzen und hohe Visibilität. Letzteres ist für die Detailhändler und die Hersteller von Markenprodukten von zentraler Bedeutung. Läden an den Top-Einkaufsstrassen können den veränderten Anforderungen an den stationären Handel gerecht werden und dürfen mittelfristig wieder mit einer anziehenden Mieternachfrage rechnen. Shopping wird in Zukunft vor allem an den wenigen Top-Einkaufsmeilen stattfinden – allerdings in kleineren Läden als heute und mit einem vielfältigeren Mietermix. (CS/mc)