Sanktionen gegen Russland: Ein unterschätztes Umweltrisiko?

Sanktionen gegen Russland: Ein unterschätztes Umweltrisiko?
(Bild: shutterstock_2419188091)

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat die Europäische Union eine Reihe von Sanktionen eingeführt, mit dem Ziel, die russische Wirtschaft abzuschwächen und die für Russland Kriegsanstrengungen erforderlichen finanziellen Ressourcen auszutrocknen. Zu diesen Massnahmen gehörte die Verringerung der Energieabhängigkeit von Russland, die das Kernstück der europäischen Strategie war, und sich durch Embargos gegen Rohöl und durch eine signifikante Reduzierung der Erdgasimporte über Pipelines äusserte.

Obwohl diese Massnahmen lobenswerte strategische Ziele verfolgen, haben sie unerwartete Umweltauswirkungen erzeugt und die wachsenden Spannungen zwischen geopolitischen Zwängen und Klimaherausforderungen hervorgehoben.

Europa verändert seine Gasversorgung

Die Energiesanktionen führen zu einer Veränderung des Energiesystem in Europa. Vor dem Krieg lieferte Russland fast 45 % des Erdgases, das in der Europäischen Union verbraucht wurde. Dieser Anteil ist mittlerweile auf weniger als 15 % gesunken, was einen historischen Bruch mit einem Schlüssellieferanten darstellt. Zwei der wichtigsten Gaspipelines, die Russland mit Europa verbinden—Nord Stream und Jamal—wurden ausser Betrieb genommen oder geschlossen, wodurch die EU auf alternative Quellen angewiesen ist. Unter diesen Alternativen ist Flüssigerdgas die bevorzugte Lösung geworden, um das Defizit zu decken. Dieses Flüssigerdgas, das per Tankschiffe aus den USA, Katar oder sogar Russland transportiert ist, hat sich zu einer temporären Säule der europäischen Energiesicherheit entwickelt. Allerdings ist der massive Einsatz von Flüssigerdgas mit hohen ökologischen Kosten verbunden.

Flüssigerdgas ist eine besonders emissionsintensive Energiequelle, und das aus mehreren Gründen. Im Gegensatz zu Pipeline-Gas muss es vor dem Verladen auf Schiffe verflüssigt werden, ein energieintensiver Prozess, der das Absenken der Gastemperatur auf –162 °C erfordert. Nach Ankunft am Bestimmungsort muss es wieder in Gas umgewandelt werden, was einen weiteren Energieverbrauch bedeutet. Hinzu kommt die Energie von den Tankern zurückgelegte Distanz. Während russisches Gas über einige hundert Kilometer Pipeline transportiert wurde, legt das aus den USA oder Katar importierte Flüssigerdgas Tausende von Kilometern über den Ozean zurück. Laut Experten erfordert der maritime Transport von Flüssigerdgas pro Kubikmeter bis zu zwanzigmal mehr Energie als der Pipeline-Transport. Eine Sache, die Fragen aufwirft, als der Seefrachtverkehr schon einer der Hauptverursacher globaler CO₂-Emissionen ist.

Neben die Energiekosten des Transports wird der intrinsische CO₂-Fussabdruck des amerikanischen Flüssigerdgas, das einen wichtigen Teil der europäischen Importe ausmacht, durch seine Fördermethode verstärkt. Fast 80 % dieses Gases stammen aus Schiefergas, dessen Produktion deutlich umweltschädlicher, als die von konventionellem Gas ist. Die Förderung durch hydraulisches Fracking setzt erhebliche Mengen Methan, ein Treibhausgas mit einer deutlich höheren Erwärmungswirkung als Kohlendioxid, frei. Diese Eigenschaften machen Flüssigerdgas in Bezug auf die Gesamtemissionen zu einer nahezu ebenso schädlichen Energiequelle wie Kohle—ein Paradoxon für Europa, das seine Energiewende zu beschleunigen behauptet.

Ein maritimes Katastrophenrisiko – Die Frage der russischen „Geisterflotte“

Die Umweltauswirkungen der Energiesanktionen beschränken sich nicht auf die Emissionen von Flüssigerdgas. Das Embargo gegen russisches Öl hat ebenfalls unerwartete Nebenfolgen hervorgerufen. Um die europäischen Sanktionen und die von den westlichen Staaten und ihren Verbündeten auferlegte Preisobergrenze von 60 Dollar pro Barrel Rohöl zu umgehen, hat sich Russland einer illegalen Tankerflotte, oft als „Geisterflotte“ bezeichnet, zugewandt. Diese aus alternden Schiffen bestehende Flotte transportiert Rohöl in Länder, wie China und Indien, die die Sanktionen nicht anwenden. Diese Schiffe entziehen sich der Kontrolle internationaler Regulierungsbehörden und stellen ein Risiko für die Meeresverschmutzung dar. Neueste Beobachtungen zeigen bereits, dass einige dieser Tanker Ölspuren hinterlassen. Eine Situation, die aufgrund neuer Sanktionen gegen westliche und russische Versicherungsunternehmen, die diese Flotte versichern, sich verschlimmern könnte. Tatsächlich hatten die dadurch eine gewisse Kontrolle über ihren Zustand.

Gleichzeitig hat Europa in seinem Bestreben, sich von russischen Kohlenwasserstoffen unabhängig zu machen, massiv in fossile Infrastrukturen investiert, um Flüssigerdgas aufzunehmen. Deutschland hat zum Beispiel in Rekordzeit mehrere Flüssigerdgas-Terminals gebaut, um seine Versorgung zu diversifizieren. Diese Infrastrukturen, die kurzfristig für die Gewährleistung der Energiesicherheit unerlässlich sind, könnten die CO₂-Emissionen Europas für mehrere Jahrzehnte sperren. Investoren werden diese kostspieligen Projekte rentabel machen wollen, was einen schnellen Übergang zu erneuerbaren Energien erschwert.

Muss Europa seine Energiepolitik ändern?

Diese Feststellung erfordert eine dringende Reflexion über die Widersprüche der europäischen Energiepolitik. Obwohl die Unterstützung der Ukraine ein moralisches und politisches Muss ist, darf diese Unterstützung nicht auf Kosten der langfristigen Klimaziele gehen. Die europäischen Entscheidungsträger stehen vor einem komplexen Dilemma: die geopolitischen Zwänge von heute mit den Umweltambitionen von morgen in Einklang zu bringen. Das ist möglich, erfordert aber eine sorgfältige Planung und eine systematische Berücksichtigung der ökologischen Auswirkungen bei der Ausarbeitung von Sanktionen und Energiepolitiken. Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und elektrische Vernetzung sollten eine strategische Priorität darstellen, um die Abhängigkeit von fossilen Energien—unabhängig von ihrer Herkunft—zu reduzieren.

Im Ergebnis offenbaren die Sanktionen gegen Russland die strukturellen Schwächen der europäischen Energiepolitik. Ohne die Notwendigkeit dieser Sanktionen in Frage zu stellen, geht es darum, ihre Umweltfolgen besser zu berücksichtigen, um zu verhindern, dass sie die Klimakrise verschärfen. (em/mc/hfu)


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