In Teilen Lateinamerikas herrscht ein starkes Gefühl der Zuversicht. Die Inflation geht zurück und die Auswirkungen von COVID-19 sind Vergangenheit. Für Anleger in diesem Umfeld sind gut geführte Unternehmen mit einem attraktiven Cashflow interessant.
von Matt Williams, Senior Investment Director, abrdn
In Teilen Lateinamerikas herrscht ein starkes Gefühl der Zuversicht. Die Inflation geht zurück, die ver-heerenden Auswirkungen von COVID-19 sind grösstenteils im Rückspiegel zu sehen, und die Gespräche über die wirtschaftlichen Aussichten sind optimistisch. Für Anleger ist dies ein konstruktiveres Umfeld, in dem gut geführte Unternehmen mit einem attraktiven Cashflow florieren können.
Der Ripple-Effekt – wichtige Rohstoffe sind wieder gefragt
Lateinamerika produziert etwa 40 % des weltweiten Kupfers und zwei Drittel des Lithiums, so dass die Region stets auf Bewegungen an den Rohstoffmärkten reagiert. Wenn die Nachfrage hoch ist, sind die Auswirkungen überall zu spüren.
Das gilt sicherlich für Peru, einen der grössten Kupferproduzenten der Welt. Wie ein Grossteil der Regi-on hatte das Land in den letzten Jahren zu kämpfen, da es unverhältnismässig stark von COVID-19 be-troffen war und dann durch die höhere Inflation unter Druck geriet. Wie mir in Gesprächen auf dieser Erkundung bestätigt wurde, sind höhere Kupferpreise also eine gute Nachricht und haben der Wirtschaft mehr Auftrieb gegeben.
Höhere Preise stärken die Staatskassen. Dies bedeutet nicht nur mehr Investitionen für Infrastrukturpro-jekte, sondern weckt auch die Hoffnung, dass dadurch der Investitionszyklus des Privatsektors, den das Land bisher schmerzlich vermisst hat, wieder in Gang gebracht werden kann.
Die wichtigste Triebkraft für diesen Aufschwung ist der grüne Wandel. Kupfer und Lithium sind unver-zichtbar für die Batterien von Elektrofahrzeugen, für die Stromerzeugung und -speicherung sowie für den Betrieb der riesigen Datenzentren, die für den Boom der künstlichen Intelligenz erforderlich sind.
Die Regierungen investieren Milliarden in die Entwicklung. Die USA zum Beispiel stehen am Anfang eines Infrastrukturprojekts, das in diesem Jahrhundert einmalig ist. Die Anfang 2024 von der Biden-Regierung unterzeichnete Federal-State Modern Grid Deployment Initiative umfasst zehn neue Übertragungspro-jekte, mit denen fast 20 Gigawatt Leistung an das Netz angeschlossen werden.
Mit Volldampf durchstarten
Selbst in diesem jüngsten Abschwung sind gut geführte Unternehmen nicht stehengeblieben. Credicorp, ein führendes peruanisches Finanzinstitut, ist ein gutes Beispiel dafür. Bei einem Treffen mit den leiten-den Angestellten auf dieser Reise bekräftigten sie, dass sich das Unternehmen auf das Risikomanage-ment und eine solide Kostenkontrolle konzentriert, was zu einer überdurchschnittlichen Rentabilität im Vergleich zu seiner Vergleichsgruppe geführt hat.
Über seine Tochtergesellschaft Banco de Crédito de Perú hat Credicorp in die digitale Geldbörse Yape investiert, eine schnell wachsende mobile Zahlungsplattform mit 16,5 Millionen Nutzern in Peru und Bolivien. Dadurch konnte das Unternehmen Marktanteile gewinnen und ein viel breiteres Publikum ansprechen.
Andere lateinamerikanische Unternehmen werden einen direkteren Nutzen daraus ziehen. Die Grupo Mexico beispielsweise besitzt einige der besten Kupferminen der Welt und ist ein Hauptnutzniesser des laufenden grünen Übergangs. Das chilenische Bergbauunternehmen SQM, der weltweit grösste Lithi-umproduzent (die Lithiumnachfrage allein in den USA wird bis 2030 um fast 500 % auf 412.000 Tonnen Lithiumkarbonat-Äquivalent steigen. Das brasilianische Unternehmen WEG, das Generatoren für Windturbinen und andere Komponenten für die Stromerzeugung, -übertragung und -verteilung herstellt, verfügt über eine sehr effiziente Kostenstruktur und gute Aussichten, die durch die Initiative des Bun-desstaates für den Aufbau moderner Netze unterstützt werden.
Was bedeutet die neue mexikanische Präsidentschaft für Investoren?
Mit einer gesunden Bilanz und einer relativ stabilen Wirtschaft ist Mexiko auch für das Wirtschafts-wachstum gut aufgestellt. Ausserdem wird das Land davon profitieren, dass es kostengünstige Arbeits-kräfte zur Unterstützung des Industrialisierungsprogramms der USA bereitstellt.
Wir haben mehrere gut geführte Unternehmen im Land identifiziert, die in der Lage sind, attraktive Renditen und Erträge für die Aktionäre zu erwirtschaften. Dazu gehören zwei Flughafenbetreiber, ASUR (Grupo Aeroportuario del Sureste) und OMA (Grupo Aeroportuario Centro Norte). Die Flughäfen profi-tieren davon, dass sie einen festen Kundenstamm von Reisenden haben, die ihre Flughäfen nutzen. Sie kontrollieren die Gebühren für Bereiche wie Parken und Duty-Free, sowie die Gebühren für Restaurants und andere Elemente, bei denen sie eine starke Preissetzungsmacht ausüben können. Der Flugverkehr ist in Mexiko ein wenig durchdrungener Bereich. Wir glauben, dass es ein grosses Wachstumspotenzial gibt, vor allem weil immer mehr Menschen von teuren Langstrecken-Busreisen auf Flugreisen umstei-gen.
Ein Umstand, der zur Vorsicht mahnt, sind jedoch die Nachwirkungen der diesjährigen Präsident-schaftswahlen. Claudia Sheinbaum tritt im Oktober die Nachfolge ihres Mentors Andrés Manuel López Obrador (bekannt als AMLO») an.
Ihre Pläne für die nächsten sechs Jahre, darunter die Beseitigung von Engpässen im Sicherheitssystem des Landes und die Behebung der Wasserknappheit in Mexiko, sind gut aufgenommen worden. Den-noch gibt es Spekulationen, dass AMLO seinen letzten Monat im Amt nutzen könnte, um einige politi-sche Massnahmen durchzusetzen, die zuvor vom Kongress blockiert wurden, wie etwa eine Verfas-sungsänderung. Die Ungewissheit über diesen „goldenen Monat“ könnte sich für die Märkte als störend erweisen. Ausgehend von den Gesprächen, die unsere Analysten und Investmentmanager während ihrer jüngsten Reisen in die Region geführt haben, halten wir dieses Risiko für relativ gering.
Positivität breitet sich aus
Unser Besuch bestätigte die Lebendigkeit, die in vielen Ländern der Region herrscht. In Kolumbien zum Beispiel war ich beeindruckt von dem geschäftigen Treiben auf den Strassen – ein Land, das hart daran arbeitet, dass die Ölgewinne im Land bleiben und die Wirtschaft wachsen lässt. Aber auch wenn wir auf das grosse Ganze achten, liegt der Schwerpunkt für uns als Anleger immer auf den Fundamentaldaten der Unternehmen. Und auch hier gibt es viele Gründe, optimistisch zu sein.
Einer davon ist das brasilianische Unternehmen Odontoprev, das mit mehr als 360.000 Zahnärzten und weiteren 36.000 Zahntechnikern die höchste Zahl an Zahnärzten in der Welt hat. Odontoprev ist mit 6,3 Millionen Mitgliedern der grösste private Anbieter von Zahnversicherungen in Brasilien. Über seine Ver-sicherungsprogramme vermittelt das Unternehmen Patienten an unabhängige Zahnärzte. Odontoprev ist ein Cashflow generierendes Unternehmen mit einem klaren Wettbewerbsvorteil durch seine Grösse gegenüber anderen Anbietern.
Optimismus und Chancen
Unser Ausgangspunkt ist wie immer der Cashflow. Unser Ziel sind Unternehmen mit gesunden Cash-flow-Strömen, die durch eine starke Wettbewerbsposition gestützt werden. Wir sind der Meinung, dass diese Unternehmen, die diszipliniert Dividenden zahlen und über ein grösseres Kapitalbewusstsein ver-fügen, stärker auf ihre Aktionäre ausgerichtet sind und bessere langfristige Aussichten bieten.
Was die Marktentwicklung angeht, so hatten Mexiko und Brasilien einen schwierigen Start ins Jahr 2024. Dies ist jedoch eher auf die makroökonomische Unsicherheit als auf die Fundamentaldaten der Unternehmen zurückzuführen. Das bedeutet, dass die Bewertungen für Anleger, die nach Unternehmen mit dem Potenzial für Einkommenswachstum suchen, attraktiver sein könnten.
Die steigende Nachfrage nach Rohstoffen und die Unterstützung von Industrieprogrammen stimmen uns für die Zukunft der Unternehmen in weiten Teilen der Region sehr optimistisch und bieten Anlegern Chancen. (abrdn/mc)