Die Olympischen Spiele sind vorbei, aber das Rennen um die Zinssenkungen der Zentralbanken hat gerade erst begonnen. Wir werfen einen Blick auf das, was für den Rest des Jahres 2024 zu erwarten ist.
von Matthew Amis, Investment Director, abrdn
Nach dem hektischen Start in den Sommer hatten die meisten von uns einen ruhigeren Juli erhofft beziehungsweise erwartet. Doch während der Rest der Welt zum Sessel-Experten für Sportarten von Taekwondo bis Skateboarden wurde, waren die Finanzmärkte auf ihr eigenes Ereignis fixiert: den nicht ganz so eleganten Sturzflug der US-Staatsanleihenrenditen.
Statt «schneller, höher, stärker» lautete das Mantra auf den Finanzmärkten «schneller, niedriger, schwächer». Die Zinssenkung wurde schneller eingepreist und die weltweiten Renditen (und Aktiengewinne) fielen, während die US-Arbeitsmarktdaten überraschend schwach ausfielen.
Nur eine Wiederholung der Aktion vom Dezember?
Wir waren schon einmal hier. Im vierten Quartal 2023 waren die Märkte weltweit begeistert von der Aussicht auf bevorstehende Zinssenkungen. Die Kombination aus Kommentaren der Zentralbanken, einigen unter den Erwartungen liegenden Daten und einem Markt, der bis zum Jahresende verzweifelt auf niedrigere Renditen hoffte, führte dazu, dass die Märkte einen aggressiven Zinssenkungszyklus einpreisten.
Der Vorsitzende der US-Notenbank (Fed), Powell, hat uns wiederholt daran erinnert, dass die Bank ein doppeltes Mandat hat: die Sicherung stabiler Preise und die Maximierung der Beschäftigung. Im Dezember überraschte die Inflation nach unten. Doch wie bei Olympiasieger Armand Duplantis beim Stabhochsprung ging, es auf dem Arbeitsmarkt immer weiter nach oben. Dies bedeutete, dass die Märkte, als die Inflation ein paar Monate später nach oben überraschte, die Erwartung aggressiver Zinssenkungen schnell zurücknahmen und die Renditen nach oben flogen.
Ja, der Dezember 2023 war ein Fehlstart – die Märkte haben sich verschätzt. Eine stärkere Beschäftigung in den ersten Monaten des Jahres 2024 und eine deutlich festsitzende Inflation (insbesondere in den USA) zeigten, dass die entwickelten Volkswirtschaften weitaus widerstandsfähiger waren als zunächst angenommen. Die Zentralbanken standen noch ein wenig länger in den Startlöchern.
Werden wir dieses Mal einen sauberen Start haben?
Wir denken ja. Der US-Arbeitsmarkt hat den Startschuss gegeben. Die derzeitige Entwicklung beruht auf einer tatsächlichen Schwäche. Der US-Arbeitsmarkt zeigt Anzeichen von Anspannung. Die Arbeitslosigkeit ist unerwartet stark angestiegen, die amerikanischen Arbeitnehmer wechseln seltener den Arbeitsplatz und die Aussichten der Arbeitgeber haben sich deutlich eingetrübt.
Der Anstieg der Arbeitslosigkeit war besonders drastisch. Die Gesamtarbeitslosigkeit stieg im Juli auf 4,3 %, gegenüber 3,7 % zu Beginn des Jahres. Zum Vergleich: Die Fed rechnete nicht damit, dass sich die Arbeitslosigkeit bis 2024 von 4 % wegbewegen würde. Auch wenn sich der Markt auf diese eine Zahl stürzte, so ist doch klar, dass sich der Arbeitsmarkt in mehrfacher Hinsicht verlangsamt.
Auf der anderen Seite des Mandats der Fed scheint die Inflation unter Kontrolle zu sein. Die Gesamtinflation ist auf dem besten Weg zum Ziel. Der Druck der Mietpreise auf die Kerninflation hat nachgelassen und die Kosten für Dienstleistungen ziehen nicht mehr stark an.
Es ist an der Zeit, dass die USA in das Wettrennen um Zinssenkungen einsteigen
Wir erwarten, dass die Fed die Zinsen ab September senken wird. Schwieriger ist es, die Geschwindigkeit und den Abstand zu prognostizieren. Das Tempo? In der ersten Reaktion auf die US-Arbeitslosenzahlen rechneten die Märkte mit einem olympischen Rekordtempo an Kürzungen. Das Tempo der prognostizierten Zinssenkungen hat sich nun verlangsamt, ist aber immer noch wettbewerbsfähig. Es handelt sich um einen Prozess der Normalisierung der Zinssätze – es besteht keine Notwendigkeit für einen schnellen Start. Genau wie die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England (BoE) gehen wir davon aus, dass die Fed den Zinssenkungszyklus langsam angehen wird, mit der Möglichkeit, ihn bei Bedarf zu beschleunigen. Wie der amerikanische Mittelstreckenläufer Cole Hocker im 1500-Meter-Lauf hat die Fed die Möglichkeit, die Europäer und Briten einzuholen – und sich dann mit der Zeit abzusetzen.
Wie weit? Die Zentralbanken haben die Geldpolitik nach 2021 aggressiv gestrafft, und das hat funktioniert. Die Inflation liegt weit unter ihrem Höchststand und die finanziellen Bedingungen sind restriktiv. Jetzt ist es Zeit für eine Normalisierung. Wir halten eine globale Rezession nach wie vor für unwahrscheinlich und sehen den neutralen Zinssatz für die USA bei etwa 3 %, für die Europäische Union (EU) bei 2 % und für das Vereinigte Königreich wahrscheinlich näher bei den USA als bei der EU.
Zur Klarstellung: Die Weltwirtschaft muss nicht zusammenbrechen, um die oben genannten Zinssenkungen zu erreichen.
Werden die Zentralbanken die Erwartungen erfüllen?
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass sich einige Zentralbanken auf dem Weg nach oben zu langsam bewegt haben. Unserer Meinung nach besteht nun die Gefahr, dass sie auch auf dem Weg nach unten zu zögerlich sind.
Die Märkte wollen «weiter, tiefer, stärker». Wobei: «Weiter» und «tiefer» bezieht sich auf die Höhe der Sätze. «Stärker» bezieht sich auf die Kommunikation. Stattdessen lautete die Botschaft der Zentralbanken bisher:
Langsamer, später, unbestimmter
Die EZB sagte im Juni eine Zinssenkung zu und schien diese Entscheidung dann zu bereuen. Die BoE hat im August eine unbequeme Zinssenkung vorgenommen, wobei vier Mitglieder (von neun) für eine Aussetzung stimmten. Die Fed hat signalisiert, dass Zinssenkungen auf dem Tisch liegen… aber wir sind jetzt nicht mehr weit vom Ende des dritten Quartals entfernt.
Für die EZB haben das Wachstum und die Löhne in diesem Jahr positiv überrascht. Dennoch bleibt die Wirtschaftstätigkeit bestenfalls schwach, und der Lohndruck nimmt ab. Durch die Verlangsamung des Wachstums in der zweiten Jahreshälfte dürfte die Verabschiedung von Kürzungen für die Falken im Ausschuss weniger strittig sein.
Bei der BoE hat die hartnäckige Dienstleistungsinflation die Diskussion überschattet. Der Taylor-Swift-Effekt (die beträchtlichen finanziellen Auswirkungen der Konzerte des Superstars auf die lokale Wirtschaft) hat wortspielfreudigen Analysten viel Spass gemacht, aber für uns, die wir uns mit den Zahlen befassen, hat er Schwierigkeiten verursacht. Die Dienstleistungsinflation ist nach wie vor hoch, auch wenn sie weiter nach unten tendieren wird. Ausserdem hat einer der wichtigsten Falken im Währungsausschuss der BoE das Gremium verlassen.
Und die Fed? Die Arbeitsmarktdaten geben ihr die nötige Feuerkraft, um den Zinssenkungszyklus einzuleiten.
Was haben wir getan?
Im Januar waren wir der Meinung, dass die globalen Renditen zu niedrig waren, und haben uns daher auf höhere Renditen eingestellt. Im April waren wir dann der Meinung, dass die Renditen zwischenzeitlich zu hoch angestiegen waren, und haben uns daher auf niedrigere Renditen eingestellt.
Diese Abwärtspositionierung macht – endlich – Sinn.
Wir fühlen uns wohl damit, weiterhin in Staatsanleihen investiert zu bleiben, und sehen Renditechancen in europäischen Anleihen, halten aber auch britische Anleihen und US-Treasuries für sinnvoll. (abrdn/mc)