Frankfurt am Main – Die Aktienmärkte scheinen die weltwirtschaftlichen Perspektiven derzeit optimistischer zu sehen als die Rentenmärkte. In jedem Fall ist eine defensivere Positionierung gerechtfertigt, da sich für die nähere Zukunft bereits mehrere Unsicherheitsfaktoren abzeichnen. Die Unternehmensrahmendaten stützen indes die Aktienmärkte. Dies schreibt ING Investment Management in einem «Marketexpress»-Beitrag vom Dienstag.
Es ist erstaunlich, wie stark sich – gerade in den USA – Renten- und Aktienmärkte wieder voneinander abgekoppelt haben. Der Rückgang der Rendite 10-jähriger Anleihen auf unter 3% deutet auf extreme Vorsicht hin, während der Aktienmarkt noch recht lebhaft ist. Wall Street scheint die trüberen Konjunkturdaten der letzten Zeit (ISM-Index der Industrieproduktion, Arbeits- und Immobilienmarktdaten) gelassen hinzunehmen. Der US-amerikanische Economic Surprise Index hat sich mittlerweile dem Stand angenähert, auf den er während der letzten Rezession gefallen war, aber auch das kann den Aktienmärkten nichts anhaben. Die Divergenz zwischen Renten und Aktien ist durchaus nicht ungewöhnlich. Das haben wir seit 2001 zehnmal gesehen. Nur in zwei Jahren – 2001 und 2007 – lagen die Rentenmärkte richtig. Werden wir jetzt ein drittes Mal erleben? Die Antwort hängt vor allem von den Konjunkturdaten ab. Ist dies nur eine vorübergehende Schwächephase oder der Beginn eines anhaltenden Abschwungs?
Frühindikatoren signalisieren moderates Wachstum
Die weltweiten Lieferengpässe infolge des Erdbebens in Japan, hohe Energiepreise, witterungsbedingte Ausfälle, Staatsschuldenkrise und Zweifel an staatlichen Haushaltssanierungsplänen haben zu Konjunkturschwäche und Risikoaversion beigetragen. Einige dieser Faktoren werden sich als kurzlebig erweisen; es könnte sich daher um einen vorübergehenden Einbruch handeln. Trotz der jüngsten Schwäche signalisieren die Frühindikatoren immer noch ein moderates Wachstum. Zudem sind die Unternehmen finanziell in guter Verfassung, günstig für Investitions- und Arbeitsmarktentwicklung. Falls Unternehmen und Verbraucher jedoch mit Drosselung ihrer Ausgaben auf die schwächeren Daten reagieren, könnte die Konjunktureintrübung länger anhalten. Das führt zweifelsohne zu höherer Risikoscheu und einer Abkehr von risikoreichen Assets, wie beispielsweise Rohstoffen.
Defensive Sektoren besser positioniert
In jedem Fall dürfte diese Schwäche in den nächsten zwei, drei Monaten zu einer deutlicheren Outperformance defensiver Sektoren führen. Davon ausgenommen wird wohl nur der Health-Care-Sektor sein.
Performance des Finanzsektors wegweisend
Aber auch bei nur vorübergehender Schwäche wird der Finanzsektor für die weitere Entwicklung des Aktienmarktes insgesamt richtungsbestimmend sein, denn auf die defensiven Sektoren entfällt lediglich ein Anteil von ca. 25 % am MSCI World Index. Bei Finanzwerten sind wir derzeit neutral positioniert, da den attraktiven Bewertungen aufsichtsrechtliche Unklarheiten und Staatsschuldenkrise entgegenstehen. Aber das sind nicht die einzigen Unsicherheitsfaktoren, die den Aktienmarkt beeinflussen, wie Tauziehen zwischen EZB und Politikern beim Ringen um eine Lösung für Griechenland, US-Schuldenniveau, Spannungen im Nahen Osten, Ende von QE2 in den USA und geldpolitische Straffung in der EWU.
Unternehmensrahmendaten sehr gut
Die Unternehmensrahmendaten steuern indes positive Impulse für den Aktienmarkt bei. Die Unternehmen schreiben Rekordgewinne und weisen gesunde, liquide Bilanzen auf. Nach Angaben von Haver Analytics halten amerikanische Unternehmen ausserhalb des Agrar- und des Finanzsektors liquide Mittel in Höhe von 1,9 Bio. USD in ihren Bilanzen. Das sollte weiterhin als Triebfeder für aktionärsfreundliche Massnahmen wie Aktienrückkäufe, Fusionen und Übernahmen sowie höhere Dividenden dienen. Unter Umständen heben die Unternehmen auch die Fremdfinanzierung an und verringern damit ihre durchschnittlichen Kapitalkosten bei gleichzeitiger Erhöhung der Eigenkapitalrendite.
Bewertungen attraktiv
Ferner sind die Bewertungen aus absoluter und relativer Sicht attraktiv. Bei Zugrundelegung des kumulativen Gewinns je Aktie der Unternehmen im S&P500, der bei 100,- USD liegt, ergibt sich ein KGV von nur 12,7. Im Vergleich zum Langzeitdurchschnitt von 16 ist das positiv. Und schliesslich ist die Anlegerschaft jetzt vorsichtiger gestimmt als noch vor einem Monat. Nach überschäumendem Optimismus ist der Ton jetzt neutraler. Das ist wohl realitätsnäher und deutet darauf hin, dass Investoren nicht etwa selbstgefällig sind, sondern ihre Entscheidungen auf solide Unternehmenszahlen stützen. Der Konsens ist, dass die Wirtschaft nur eine temporäre Schwächephase durchmacht und keinen Double-Dip.