John Cryan, designierter Co-Chef der Deutschen Bank.
Frankfurt – Der überraschende Chefwechsel bei der Deutschen Bank lässt Investoren auf ein Ende der Skandale bei Deutschlands grösstem Geldhaus hoffen. Der Brite John Cryan müsse sich «das Thema Kulturwandel mal richtig vornehmen», forderte Anlegerschützer Klaus Nieding am Montag im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
An der Börse gab es viele Vorschusslorbeeren für den 54 Jahre alten langjährigen Investmentbanker: In einem ansonsten schwachen Umfeld setzte sich die Aktie des Frankfurter Instituts mit einem kräftigen Plus von zeitweise rund 8 Prozent an die Dax -Spitze.
Chefwechsel Konsequenz aus anhaltender Kritik
Cryan soll bereits zum 1. Juli Anshu Jain in der Doppelspitze des Konzerns ersetzen. Jürgen Fitschen bleibt noch bis zum Abschluss der Hauptversammlung am 19. Mai 2016 Co-Chef, danach soll Cryan alleiniger Vorstandschef der Bank werden. Die Personalentscheidungen traf der Aufsichtsrat am Sonntag nach anhaltender Kritik am Duo Jain/Fitschen – zuletzt bei der Hauptversammlung vor gut zwei Wochen.
Fitschen muss sich derzeit zudem wegen versuchten Prozessbetrugs im Kirch-Verfahren vor dem Landgericht München verantworten. Nach drei Wochen Pause wird der Prozess an diesem Dienstag (9. Juni) fortgesetzt. Fitschen wies die Vorwürfe vor Gericht zurück.
Rechtsstreitigkeiten fressen Fortschritte auf
«Es reicht eben nicht aus, wenn von allerhöchster Stelle gesagt wird, wir wollen einen Kulturwandel, dann aber in den einzelnen Stabsabteilungen im Bereich des Investmentbankings dieser Kulturwandel gar nicht ankommt», sagte Nieding, der Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ist.
Zwar lief das Tagesgeschäft bei der Deutschen Bank zuletzt wieder besser, doch Milliardenkosten für Rechtsstreitigkeiten fressen die Fortschritte auf. Jüngster Rückschlag: Ende April musste die Bank eine Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar (rund 2,3 Mrd Euro) für ihre Beteiligung an Manipulationen des Referenzzinses Libor schlucken.
«Ablösung ist konsequent»
Etliche weitere Verfahren laufen. Ein Grossteil der Altlasten hat seine Wurzeln im Investmentbanking, dessen oberster Chef Jain lange war. Jain wird sich nun zum 30. Juni 2015 zurückziehen.
«Die Ablösung ist nur konsequent, weil insbesondere das Vertrauen der institutionellen Investoren nicht mehr da ist», sagte Nieding. Allerdings meinte der Anwalt auch: «Der Aufsichtsrat hätte früher handeln müssen.» Der Vertrauensverlust bei Grossaktionären sei auch für das Kontrollgremium schon seit Monaten erkennbar gewesen.
Strategie könnte nachjustiert werden
Dass die erst Ende April beschlossene Strategie bis zum Jahr 2020 tatsächlich 1:1 umgesetzt wird, glaubt Deutsche-Bank-Kenner Nieding nicht: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der ein wirklich starker Mann an der Spitze der Deutschen Bank sein will, nicht eigene Akzente setzt und diese Strategie nicht noch einmal nachjustiert.»
Nach monatelangem Ringen hatten sich Vorstand und Aufsichtsrat Ende April auf einen Schrumpfkurs verständigt: Die Tochter Postbank wird abgestossen, zudem will die Deutsche Bank bis zu 200 eigene Filialen schliessen. Einschnitte gibt es auch im Kapitalmarkt-Geschäft.
Politik sieht Wechsel als Chance
Cryan, ehemals Finanzvorstand der Schweizer Grossbank UBS (2008-2011), ist seit 2013 Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank. Er ist dort Vorsitzender des Prüfungsausschusses, der sich etwa mit Rechtsfällen befasst, und Mitglied im Risikoausschuss. Mit seinem Amtsantritt als Co-Vorstandschef wird Cryan sein Mandat im Aufsichtsrat niederlegen.
In der Bundespolitik wird der Führungswechsel als Chance für einen Neuanfang gewertet. Jetzt müsse die Deutsche Bank Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und wieder in die Erfolgsspur kommen, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, der Deutschen Presse-Agentur.
«Neuer Vorstand muss jetzt aufräumen»
Der finanzpolitische Sprecher der Grünen, Gerhard Schick, mahnte: «Der neue Vorstand muss jetzt aufräumen, vor allem im Investmentbanking, wo das teilweise kriminelle Verhalten strukturell bedingt war.» Dagegen warnte die Linkspartei, mit dem Stühlerücken an der Konzernspitze sei es nicht getan: «Der Nachfolger wird kaum anders agieren als die alten Chefs», meinte Fraktionsvize Dietmar Bartsch. Die Deutsche Bank und die gesamte Finanzwelt hätten aus der Krise nichts gelernt. (awp/mc/upd/ps)