Zürich – Keine Atempause: Die Alterung der Gesellschaften schreitet mit unvermindertem Tempo voran – trotz Corona. Derweil gleichen Rentensysteme weltweit einer grossen Dauerbaustelle ohne Aussicht auf baldige Fertigstellung – obwohl nur wenige Länder für die kommenden demographischen Veränderungen gewappnet sind. Das Schweizer Rentensystem steht relativ gut da, der Ausblick erfordert jedoch eine weitere Stärkung der Nachhaltigkeit. Dies zeigt die zweite Ausgabe des «Global Pension Report» der Allianz.
Keine Atempause
Die Corona-Pandemie hat in vielen Ländern zu einem Rückgang der Lebenserwartung geführt; in einigen wenigen konnte sogar ein (kleiner) Babyboom registriert werden. Allerdings ist dies nur eine kurzfristige Unterbrechung des unvermindert anhaltenden und sich beschleunigenden Trends der gesellschaftlichen Alterung, ablesbar am globalen Altersquotienten: bis 2050 soll er von heute 15,1% auf 26,3% klettern; 2019 war ein Anstieg auf «nur» 25,3% prognostiziert worden.
«Die jüngsten Daten beispielsweise aus China, Korea oder Italien deuten auf eine weitere Beschleunigung des demographischen Wandels hin», sagte Michaela Grimm, Mitautorin des Reports. «Insbesondere die Geburtenzahlen entwickeln sich schlechter als angenommen, trotz aller familienpolitischen Anstrengungen. Aber es hilft kein Lamentieren, sondern wir müssen den Tatsachen ins Auge schauen: Der Generationenvertrag ist brüchig geworden. Gerade die jüngeren Generationen Y und Z sind gefordert, (noch) stärker selbst fürs Alter vorzusorgen. Die unbequeme Wahrheit lautet: Sie werden länger arbeiten müssen sowie mehr und fokussierter sparen.»
Geschäftiger Stillstand
Die ungewichtete Gesamtnote für alle untersuchten Rentensysteme beläuft sich auf 3.6: kaum mehr befriedigend. Gegenüber dem letzten Report von 2020 stellt dies nur eine kleine Verbesserung dar. Auf der einen Seite ist dies wenig überraschend: Nach Corona, Krieg und Energiekrise hat sich der fiskalische Spielraum der allermeisten Länder noch einmal deutlich eingeengt. Auf der anderen Seite aber sehr enttäuschend: die Notwendigkeit von Rentenreformen steht nicht in Abrede, doch der Rhetorik folgen nur selten kraftvolle Taten: die Arbeit auf der Rentenbaustelle kommt nicht voran.
Tatsächlich haben es nur wenige Länder – wie beispielsweise Frankreich oder China – geschafft, ihr Scoring durch Reformen deutlich zu verbessern. Frankreich verkörpert dabei nahezu exemplarisch das politische Dilemma solcher Reformen, da sie die übliche politische Ökonomie auf den Kopf stellen: Statt Wohltaten heute zu verteilen gegen Zumutungen später, erfordern sie Zumutungen heute, um spätere Einschnitte zu vermeiden.
Die wenigen Rentensysteme, die heute gut dastehen – vor allem Dänemark, die Niederlande und Schweden mit einer Gesamtnote deutlich unter 3 -, haben daher auch eine Sache gemeinsam: Sie haben die Weichen sehr früh auf Nachhaltigkeit gestellt, zu einer Zeit, als die demographische Bombe noch leise tickte. Sie können daher als Vorbild für viele Entwicklungsländer gelten, die ebenfalls noch über ein Zeitfenster zur Stabilisierung ihrer Rentensysteme verfügen. In vielen anderen Ländern dagegen wird es ohne schmerzhafte Reformen kaum gehen.
Umdenken
Neben den technischen Details wie beispielsweise Beitragshöhe und -zeiten gibt es eine zentrale Stellschraube für nachhaltige und angemessene Rentensysteme: den gesellschaftlichen Wert der Arbeit. «Automatisierung, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ermöglichen den universellen Zugang zu Bildung und damit neue Arbeitskonzepte. Die Auflösung der starren Zweiteilung in Erwerbstätigkeit und Ruhestand ist derzeit nur für wenige Privilegierte gegeben. Das Rentensystem der Zukunft beginnt damit, die Welt der Bildung und Arbeit für alle neu zu denken», sagteLudovic Subran, Chefvolkswirt der Allianz.
Schweiz im Mittelfeld
Mit einer Gesamtnote von 3,1 rangiert das schweizerische Rentensystem im oberen Mittelfeld. Angesichts des demographischen Ausblicks – der Altersquotient wird bis 2050 auf 50,9% steigen – ist allerdings kein Platz für Selbstgefälligkeit. Insbesondere die Nachhaltigkeit des Systems gilt es weiter zu stärken. Höhere Beiträge und vor allem höhere Rentenalter sollten kein Tabu sein; schliesslich werden die Schweizer Pensionäre in Zukunft nahezu 25 Jahre im «Ruhestand» verbringen können.
Monika Behr, Leiterin Leben und Mitglied der Geschäftsleitung der Allianz Suisse, ergänzt: «Die Altersvorsorge in der Schweiz steht auch nach der AHV-Reform vor grossen Herausforderungen. Die geplante BVG Revision ist zwingend nötig, um die Attraktivität unseres Vorsorgemodells zu stärken und die langfristige Stabilität zu sichern – andere Länder haben deutlich raschere Fortschritte erzielt. Gerade die Umverteilung von Berufstätigen zu Pensionierten ist im Sinne der Generationenfairness dringend zu stoppen. Zusammen mit der besseren Berücksichtigung der Situation von Teilzeiterwerbstätigen im BVG sind das zentrale Punkte, die gelöst
werden müssen.»
Der Allianz «Global Pension Report» analysiert mit Hilfe des eigenen «Allianz Pension Indexes» (API) 75 Rentensysteme rund um den Globus analysiert. Der Indikator besteht aus drei Säulen: Analyse der demographischen und fiskalischen Ausgangslage sowie Bestimmung der Nachhaltigkeit (z.B. Finanzierung und Beitragszeiten) und Angemessenheit (z.B. Verbreitungsgrad und Rentenhöhe) des Rentensystems. Insgesamt werden 40 Parameter berücksichtigt, mit Werten zwischen 1 (sehr gut) und 7 (sehr schlecht). In der gewichteten Summe aller Parameter kristallisiert sich die Bewertung des jeweiligen Systems in einer Gesamtnote.