EZB-Chef Mario Draghi. (Foto: EZB)
Frankfurt am Main – Die Europäische Zentralbank (EZB) legt sich erstmals in ihrer Geschichte in ihrer künftigen Zinspolitik fest und nähert sich damit anderen grossen Notenbanken wie der amerikanischen Federal Reserve an. EZB-Chef Mario Draghi kündigte in einem nach seinen Worten «beispiellosen Schritt» an, dass die EZB ihre Niedrigzinspolitik noch lange fortsetzen werde. Demnach werden die Leitzinsen für einen längeren Zeitraum auf ihrem aktuellen Niveau oder sogar niedriger bleiben, sagte Draghi nach der Zinssitzung des EZB-Rats in Frankfurt. Zuvor hatte die EZB entschieden, den Zinssatz bei 0,5 Prozent zu belassen.
Notenbankexperte Michael Schubert von der Commerzbank nannte den Vorgang eine historische Entscheidung. Bislang hatte die EZB lediglich davon gesprochen, ihren expansiven Kurs so lange wie nötig fortzusetzen. Das neue Versprechen ist einer ehemaligen Formulierung der US-Notenbank sehr ähnlich, die diese lange Zeit verwendet hatte, um anhaltend niedrige Zinsen zu signalisieren. Später ging die Fed dazu über, einen konkreten Zeitpunkt für die Dauer ihrer Niedrigzinspolitik zu nennen. Ende 2012 koppelte sie dann die Leitzinsen an die Arbeitslosenquote.
EZB reagiert auf Anstieg der Marktzinsen
Draghi begründete den Schritt mit schwachen Wachstumsaussichten, geringen Inflationsrisiken und ungünstigeren Bedingungen an den Finanzmärkten. Obwohl der EZB-Chef unterstrich, die Notenbank reagiere nicht auf die Geldpolitik anderer Zentralbanken, ist der Zusammenhang mit der amerikanischen Geldpolitik offensichtlich: Seit der Ankündigung der Federal Reserve, ihre Wertpapierkäufe noch in diesem Jahr verringern zu wollen, sind die Renditen für Staatsanleihen gestiegen. Dies verteuert zum einen die Zinskosten für die Euroländer. Zum anderen kann die Entwicklung auf die Kreditmärkte durchschlagen und damit die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte verschlechtern.
Form von «Forward Guidance»
Draghi nannte auf Rückfrage keine konkrete Zeitspanne, über die die Notenbank ihr Niedrigzinsversprechen einhalten will. Die Entscheidung, das Versprechen abzugeben, sei im geldpolitischen Rat einstimmig gefällt worden. Draghi selbst bezeichnete das Vorgehen als Form von «Forward Guidance». Bei diesem geldpolitischen Instrument machen Zentralbanken explizite Ankündigungen zur Entwicklung der Leitzinsen. Damit sollen die Zinserwartungen gefestigt und letztlich die Konjunktur gestützt werden. Derzeit liegt der Leitzins im Währungsraum auf einem Rekordtief von 0,5 Prozent, wo ihn die EZB zunächst auch beliess.
«Es handelt sich bei der EZB aber um eine schwache Form der ‹Forward Guidance›, da im Gegensatz zur US-Notenbank kein konkreter Zeitraum vorgegeben wird», sagte Christian Schulz, EZB-Experte bei der Berenberg Bank. So sei es denkbar, dass die Eurozone bereits zu Beginn des kommenden Jahres wieder ihr Potenzialwachstum erreiche und die Notenbank die Zinsen wieder anheben müsse.
Starke Marktreaktionen
«Forward Guidance» wird nicht nur von der amerikanischen Notenbank, sondern seit Frühjahr auch von der japanischen Zentralbank verwendet. Beide Notenbanken haben die Dauer ihrer lockeren Geldpolitik an wirtschaftliche Grössen gebunden – die Fed an die Arbeitslosenquote, die Bank of Japan letztlich an die Inflationsrate. Die Bank of England dürfte unter ihrem neuen Chef Mark Carney bald einen ähnlichen Kurs einschlagen. In einer ebenfalls am Donnerstag veröffentlichen Erklärung der Bank of England sahen viele Experten einen ersten Schritt in diese Richtung.
An den Finanzmärkten riefen die Äusserungen Draghis starke Reaktionen hervor. Der Euro gab einen Cent ab und fiel zeitweise unter die Marke von 1,29 US-Dollar. An den europäischen Anleihemärkten legten die Kurse spürbar zu, entsprechend gaben die Renditen nach. Die europäischen Börsen quittierten die Aussagen mit deutlichen Gewinnen. An den britischen Finanzmärkten sorgten Aussagen der Bank of England, die sich wie die EZB besorgt über den Anstieg der Marktzinsen äusserte, ebenfalls für heftige Reaktionen. Das Pfund geriet unter Druck, britische Staatsanleihen legten stark zu. (awp/mc/pg)