Bank of England stemmt sich gegen Zins-Turbulenzen
London – Die britische Notenbank stemmt sich gegen den zuletzt drastischen Zinsanstieg am heimischen Kapitalmarkt. Aufgrund von Störungen in diesem Marktsegment sollen ab sofort Staatspapiere mit langer Laufzeit erworben werden, wie die Bank of England am Mittwoch in London mitteilte. Eine Obergrenze wurde nicht genannt, die Käufe sollen allerdings zeitlich begrenzt bis Mitte Oktober stattfinden.
In den vergangenen Tagen sind die Zinsen von langlaufenden britischen Staatsanleihen extrem angestiegen. Fachleute nennen als Grund die starken Steuersenkungen, die die neue Regierung von Premierministerin Liz Truss anpeilt. Befürchtet wird eine deutlich steigende Staatsschuld und eine Erhöhung der bereits sehr hohen Inflation. Beides hat sich am Kapitalmarkt in kräftig steigenden Zinsen niedergeschlagen, vor allem in den langen Laufzeiten. Am Devisenmarkt ist das britische Pfund zuletzt erheblich unter Druck geraten.
Geldpolitische Straffung verschoben
Der jetzige Eingriff am Anleihemarkt ist heikel, weil die Notenbank eigentlich in der kommenden Woche damit beginnen wollte, ihren hohen Anleihebestand zu veräussern. Der Start des geplanten Verkaufsprozesses, der zusammen mit den steigenden Leitzinsen einer geldpolitischen Straffung gleichkommt, soll auf Ende Oktober verschoben werden.
«Beispielloses Vorgehen»
Ähnliche Massnahmen wie der jetzige Eingriff seien in der Vergangenheit während der Finanzkrise oder der Corona-Pandemie ergriffen werden – aber noch nie, «um die Auswirkungen der Haushaltspläne der eigenen Regierung zu begrenzen», sagte der deutsch-britische Ökonom Andrew Lee, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe lehrt, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist völlig beispiellos.»
«Kwasikaze»
Der neue Finanzminister Kwasi Kwarteng hatte am Freitag erhebliche Steuererleichterungen angekündigt, die vor allem Reichen zugute kommen und deren Finanzierung unklar ist. Er und Premierministerin Liz Truss wollen mit der bereits als «Kwasikaze» verspotteten Hauruck-Aktion das Wirtschaftswachstum ankurbeln. «Truss und Kwarteng haben aufs Gaspedal getreten, und die Bank of England bewahrt nun gewissermassen den Motor des Autos davor, zu explodieren», sagte Experte Lee.
Auch der Chef der grössten britischen Oppositionspartei Labour macht die Regierung selbst für das Fiasko verantwortlich: Keir Starmer rief den Finanzminister dazu auf, die ungewöhnlich scharfe Mahnung des Internationalen Währungsfonds (IWF) ernst zu nehmen und eine Kehrtwende zu vollziehen.
IWF warnt
Der IWF hatte am Dienstagabend verlauten lassen, «grosse und ungezielte Finanzpakete» seien angesichts der hohen Inflation in Grossbritannien und vielen anderen Ländern im Augenblick nicht zu empfehlen. Es sei wichtig, dass die Steuerpolitik nicht gegenläufig zur Geldpolitik wirke. «Die Art und Weise der britischen Massnahmen wird ausserdem sehr wahrscheinlich die Ungleichheit vergrössern», sagte ein Sprecher.
«Der Tiefflug des Pfund Sterling ist ein Vertrauensentzug der Finanzmärkte gegenüber der Fiskalpolitik der britischen Regierung», sagte Alexander Altmann, Partner bei der Londoner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Blick Rothenberg. Anders als in den 1980er Jahren unter Premierministerin Margaret Thatcher seien die aktuellen Steuersenkungen nicht gegenfinanziert. Dies könne in Zeiten hoher Zinsen «eine Abwärtsspirale» zur Folge haben.
Lebensmittelpreise um 10,6 Prozent gestiegen
Ökonom Lee hebt hervor, dass für viele Eigentümer von Häusern und Wohnungen die Abbezahlung ihrer Kredite deutlich teurer werden dürfte. In Grossbritannien ist das Kaufen von Immobilien deutlich üblicher als langfristiges Mieten. Auch im Supermarkt dürfte fast jeder die Effekte zu spüren bekommen. Im September stiegen die Lebensmittelpreise mit 10,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr so stark wie nie zuvor. Eine hohe Inflation treffe immer die Ärmsten am stärksten, so Lee. Und solange das Pfund schwach sei, würden alle Waren aus dem Ausland entsprechend teurer.
Wie es in Grossbritannien weitergeht, hängt zum einen von weiteren Zinsentscheidungen der Bank of England ab – und zum anderen davon, was Finanzminister Kwarteng beim nächsten Haushaltsplan Ende November verkündet. Das Datum biete eine frühe Möglichkeit, um das Unterstützungspaket gezielter zu gestalten und die Steuerpläne anzupassen, mahnte der IWF – besonders mit Blick auf jene für die Topverdiener.
Mit der Herausforderung, geeignete Antworten auf die Energiekrise und steigende Preise zu finden, steht Grossbritannien nicht allein da. Den Ansatz der deutschen Bundesregierung, besonders belasteten Unternehmen und ärmeren Haushalten direkte Hilfe zu gewähren, findet Ökonom Lee jedoch überzeugender – auch wenn er für gezieltere Entlastungen plädiert als etwa die 300-Euro-Energiekosten-Pauschale. «Allerdings gibt es wirklich kein Land, das so einen absurden Plan hat wie Grossbritannien. Das ist wirklich kein Massstab.» (awp/mc/pg)