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Zürich – Mit Blick auf den Ölsektor ist der Pessimismus so weit verbreitet, dass der Markt faktisch ein Nullwachstum für den Ölpreis und keine Verbesserungen der Erträge einpreist, die die Ölindustrie in Zukunft generieren kann.[1] Die Untergewichtung im Rohstoffsegment in der Allokation von Vermögensverwaltern befindet sich fast auf einem Spitzenniveau, während sich die Short-Positionen von physischen Rohstoffspekulanten auf einem Allzeithoch bewegen.[2]
Wir sind der Ansicht, dass diese düstere Einschätzung übermässig pessimistisch ist, und dass viele Marktteilnehmer die mitunter grösste potenzielle Chance im Rohstoffaktiensegment der heutigen Zeit übersehen könnten.
Tatsächlich sind viele Unternehmen bereits aktiv geworden. Sie senken Kosten, verschieben kostenintensive Kapitalprojekte, rationalisieren Bestandswerte und konsolidieren. Die Akquisition der BG Group durch Shell ist ein erwähnenswertes Beispiel. Die Transaktion, die noch nicht vollständig abgeschlossen ist, wird zur Realisierung von Kostensynergien beitragen und Shell, mithilfe der Vermögensgegenstände von BG in Brasilien, zu einer effizienteren Produktionsbasis verhelfen.
Kosten senken, Angebot verringern
Manche Ölgiganten haben strengere Ertragskriterien eingeführt. Eine erhebliche Anzahl an Projekten mit prognostizierten Renditen von weniger als 15% zu einem Preis von 70 USD pro Barrel wurden ohnehin bereits zurückgestellt.[3] Unseren Analysen zufolge dürften sich daraus zwei bedeutende Konsequenzen ergeben. Erstens zeigt es, dass die Erträge nicht auf den niedrigen Niveaus bleiben werden. Wenn Unternehmen unattraktive Projekte einstellen und Kosten senken, wird die Profitabilität unter sonst gleichen Umständen unweigerlich steigen, sogar bei dem aktuellen Preis von 46 USD pro Barrel für Brent-Rohöl.[4]
Zweitens wird die Produktionsprognose der Unternehmen für Öl zurückgehen. Unseren Schätzungen zufolge wird die zukünftige globale Produktion über die kommenden 24 bis 36 Monate um 5,5 Mio. bis 6,0 Mio. Barrel pro Tag sinken. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Ölproduktion auf natürliche Weise zurückgeht, wenn die Ausgaben gestoppt werden.
Ausserdem sollte man auch die Auswirkungen der Anpassung im US-Festlandsektor berücksichtigen. Die Anzahl der aktiven Förderanlagen ist alleine in diesem Jahr um mehr als die Hälfte auf aktuell 578 zurückgegangen.[5] Daher erwarten wir für 2016 einen jährlichen Rückgang der US-Festlandproduktion von möglicherweise 500.000 Barrel pro Tag. Das markiert einen deutlichen Wandel für eine Ölquelle, die in den letzten Jahren den Preistrend massgeblich beeinflusst hat. Der Ölpreis würde davon eindeutig profitieren.
Der wahre Wendepunkt wird unserer Meinung nach jedoch eintreten, wenn mehr Produzenten die Notwendigkeit von Investitionskürzungen erkennen. Einige Unternehmen haben die Dauer des Ölpreisrückgangs falsch eingeschätzt und ihre Investitionsausgaben beibehalten, um die Fördermenge sogar während des absoluten Tiefstands des Ölpreises aufrechtzuerhalten.
Da nun nach und nach die Ergebnisse eines schwierigen dritten Quartals veröffentlicht werden und die Planung für 2016 im Dezember beginnt, werden diese Unternehmen in den kommenden Monaten unseres Erachtens ihre Ausgaben kürzen und die Ölproduktion für nächstes Jahr zurückfahren.
Internationale Dimensionen
Abgesehen von den Unternehmen hängt die Anpassung des Ölangebots auch von den Massnahmen der grossen OPEC-Produzenten ab, vor allem von Saudi-Arabien (OPEC ist die Organisation erdölexportierender Länder). 2015 hat Saudi-Arabien die Produktion erhöht und den Markt überflutet, um die Preise zu drücken und neue Wettbewerber, die nicht der OPEC angehören, vom Markt zu drängen. Das Einführen einer grösseren Angebotsdisziplin innerhalb der OPEC selbst könnte ein weiteres Hauptziel sein.
Andererseits gehen wir nicht davon aus, dass die Saudis an einer langen Phase mit niedrigen Ölpreisen interessiert sind. Irgendwann sollte sich das Angebotsniveau schrittweise und systematisch normalisieren. Ein solches Szenario würde unserer Meinung nach eine mögliche Gefahr für das Angebot durch iranisches Öl eindämmen. Der iranische Ölminister verkündete bei Aufhebung der Sanktionen eine Ankurbelung der Fördermenge um 1 Mio. Barrel pro Tag. Das ist unserer Ansicht nach nicht genug, um den erwarteten Produktionsrückgang auszugleichen, insbesondere wenn sich die saudische Fördermenge normalisiert.
Strategie
Als Aktienanleger stehen bei uns die Unternehmen im Mittelpunkt. Wir investieren in diejenigen Unternehmen, die gemäss unserer fundamentalen Bottom-up-Analysen am besten positioniert sind, um langfristig attraktive Renditen zu erzielen. Aktuell machen wir viele solcher Anlagechancen am globalen Markt für Rohstoffaktien ausfindig.
Innerhalb des Energiesektors bevorzugen wir führende Unternehmen, die die notwendigen Schritte einleiten, um ihr Geschäft zu restrukturieren, ihre Kosten zu senken und ihr Gewinnpotenzial zu erhöhen. Ein Beispiel ist Chevron. Dieses Unternehmen, dessen Gewinne im dritten Quartal höher als erwartet ausfielen, hat seine Investitionsaufwendungen für nächstes Jahr im Vergleich zu den geplanten Ausgaben im Jahr 2015 um fast 25% gekürzt.
Shell ist ebenfalls ein geeignetes Beispiel. Nachdem wir zuvor nicht investiert waren, haben wir nun eine Position aufgebaut. Shell unternimmt Schritte, die den langfristigen Ausblick verbessern, z.B. die Übernahme der BG Group und die Streichung einiger kostenintensiven Projekte wie das Ölsandprojekt Carmon Creek in Westkanada. Diese Restrukturierung senkt die Kosten und erhöht gleichzeitig die Chancen für künftiges Wachstum.
Unsere Positionen in Chevron, Shell und BG Group sind sehr umfangreich und machen zusammengenommen 15,6% unseres Portfolios aus. Unser Engagement im Energiesektor insgesamt ist von seinem Tiefpunkt von 35% Ende Februar auf 54% Ende Oktober gestiegen.[7]
Zusammenfassend sind wir der Meinung, dass der Markt die Aussichten für den Energiesektor zu pessimistisch beurteilt, während wir zunehmend optimistisch gestimmt sind. Wir sehen künftig Aufwärtspotenzial bei den Bewertungen und gehen davon aus, dass die Ölproduzenten, in die wir investiert haben, für eine positive Gewinnüberraschung sorgen werden. (Baring Asset Management/mc/ps)
1 Quelle: HOLT, BoAML Fund Manager Survey, US Commodity Futures Trading Commission, Barings, September 2015
2 Quelle: US Commodity Futures Trading Commission, NYMEX, BoAML, September 2015
3 Quelle: Citi, Barings, September 2015
4 Quelle: Thomson Reuters Datastream, 3. November 2015
5 Quelle: Baker Hughes, Freitag, 30. Oktober 2015
6 Quelle: IEA, Barings, November 2015
7 Quelle: Stand Samstag, 31. Oktober 2015.