Mario Draghi ist zurück. Nicht einmal anderthalb Jahre wohlverdienter Ruhestand sind dem 73Jährigen seit seinem Ausscheiden als EZB-Präsident im November 2019 vergönnt gewesen. Und seit bekannt wurde, dass der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella ihn mit der Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“ beauftragt hat, reagieren die Finanzmärkte euphorisch. Um 18 Basispunkte sank über die vergangene Woche der Risikoaufschlag zehnjähriger italienischer Staatsanleihen gegenüber Deutschland, um über 8% legte der Leitindex der Mailänder Aktienbörse im gleichen Zeitraum zu.
Wie keine andere Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in Italien geniesst Draghi Respekt und Vertrauen in nahezu allen politischen Lagern sowie der Bevölkerung. Dies ist alles andere als selbstverständlich in einem Land, in dem Umfragen den Politikern regelmässig Zustimmungswerte unterhalb der 20%-Marke attestieren. Ausnahmen sind allenfalls eher politikferne Experten (in Italien gern tecnici genannt, also Technokraten) wie der bisherige Regierungschef Giuseppe Conte, der im Zuge der Covid-Krise Zustimmungswerte von über 60% in der Bevölkerung erreichte, aber von den unvermeidlichen Machtspielchen der Parteien und der nur hauchdünnen Mehrheit der Koalition, die ihn ins Amt geholt hatte, nun zu
Fall gebracht wurde. Oder eben Mario Draghi, der im Sommer 2012 mit seiner legendären Zusicherung, er werde alles Notwendige tun, um den Euro zu retten („Whatever it takes“) aus Sicht der Finanzmärkte sein Meisterstück ablieferte und seitdem geradezu kultische Verehrung geniesst.
Draghi wird sein enormes Ansehen brauchen. Und er ist bereit, es einzusetzen, wie sich am Wochenende bei Gesprächen mit den Parteispitzen zeigte. So signalisierten ihm Vertreter der Fünfsternepartei, die in Abgeordnetenhaus und Senat rund ein Drittel der Parlamentarier stellt, Unterstützung auch ohne die bisher hochgehaltene Bedingung, auf eine reine Technokratenregierung zu verzichten. Ebenso handzahm gaben sich die ehemaligen Premiers Silvio Berlusconi, immer noch starker Mann der konservativen Forza Italia, und Matteo Renzi, der mit seiner von den Sozialisten abgespaltenen Minipartei Italia Viva die Regierungskrise erst ausgelöst hatte. Und da selbst der sonst so angriffslustige Lega-Chef Matteo Salvini weder Bedingungen stellte noch populistische Forderungen erhob, scheint für Draghi der Weg zu einer nationalen Einheitsregierung weitestgehend frei zu sein. Für Marktteilnehmer wäre eine derartige Regierungsbildung eine gute Nachricht, vor allem weil sie das Risiko vorgezogener Neuwahlen vorerst vom Tisch nimmt. Dort hätten nämlich eventuell Salvinis Rechtspopulisten gute Chancen gehabt und möglicherweise Ängste vor einem Ausscheiden Italiens aus der Eurozone wiederbelebt. Sollten Draghis weitere Sondierungsgespräche über den Verlauf dieser Woche also ebenfalls Unterstützung signalisieren, stünde einer fortgesetzten Einengung der Spreads nichts im Wege, auch und vor allem mit Blick auf die Verwendung der 209 Mrd. Euro, welche Italien aus dem EU-Corona-Hilfsfonds „Next Generation EU“ zustehen.
Dabei duldet die Stützung der Wirtschaft nicht nur in Italien keinen Aufschub. Denn nur zögerlich sinken trotz Lockdowns die Neuansteckungen auch in Deutschland, was vermutlich eher auf Corona-Müdigkeit in der Bevölkerung als auf die ansteckendere Virusmutation B.1.1.7 zurückzuführen ist. Letztere machen in Deutschland laut RKI bisher nur rund 6% der positiv getesteten Fälle aus, mit vermutlich allerdings stark steigender Tendenz. Dagegen spricht vieles dafür, dass die Mobilität, welche im zweiten Lockdown nur um 30-40% und damit viel weniger reduziert wurde als im ersten (rund 65%), ein schnelleres Absenken der Fallzahlen kaum zulässt. Und so könnte der Wettlauf zwischen möglichst schnellem Fortschritt beim Impfen und den nach wie vor zu hohen Inzidenzwerten, welche die Ausbreitung der mutierten Varianten begünstigen, für einen verlängerten Lockdown sorgen als wir wohl alle hoffen. Das bedeutet, dass noch mehr Unternehmen in Finanznot geraten werden, dass der ersehnte Aufschwung länger auf sich warten lässt, dass der Gesamtschaden wächst.
Was das für Anleger bedeutet
Auch in den USA wird mit Hochdruck an einer Ausweitung der Stützungsmassnahmen gearbeitet. Ein gigantisches, 1,9 Billionen US-Dollar umfassendes Programm möchte Präsident Biden durch den Kongress bringen, was trotz durchwachsener Makro- und Arbeitsmarktdaten amerikanische Aktien letzte Woche um rund 5% anschob. Haushalte mit weniger als 60.000 US-Dollar Jahreseinkommen sollen wie im ersten Programm im März 2020 Schecks zugesandt bekommen, die direkte Hilfe bringen und den Konsum stützen. Darüber hinaus dürften viele USUnternehmen, auch und vor allem kleinere, von öffentlichen Aufträgen profitieren. US Small Caps könnten daher für Anleger, die sich zusätzlich zu den von uns bevorzugten Qualitätsaktien (Technologie, Gesundheitswesen) auch für den wirtschaftlichen Neustart nach Corona positionieren möchten, noch Potenzial bieten. (BlackRock/mc/ps)