London – Nach einem Brexit kann nach Ansicht der britischen Notenbank kein Finanzstandort in der EU die Rolle Londons übernehmen. Die britische Hauptstadt biete in Europa als Finanzplatz «ziemlich einzigartige» Strukturen, sagte der Vizechef der Notenbank, Jon Cunliffe, am Mittwoch vor einem Parlamentsausschuss.
Davon profitierten in der Finanzbranche tätige Unternehmen «auf beiden Seiten des Ärmelkanals», da sie damit Kosten sparen könnten. «Ich sehe nicht, dass das Finanz-Biotop London in naher Zukunft irgendwo in der EU nachgebildet werden kann», stellte der Währungshüter fest.
Das Clearing könnte an Frankfurt gehen
Cunliffe erklärte, er könne sich vorstellen, dass einige im Bereich Finanzdienstleistungen angesiedelte Aktivitäten nach New York verlegt würden. Derzeit herrsche «grosse Unsicherheit», ob und wenn ja, in welchem Umfang, Geschäft aus der britischen Hauptstadt nach einem Brexit abwandern werde. Nach einem EU-Ausstieg steht nach Ansicht von Experten insbesondere die Abwicklung von Euro-Derivategeschäften – das sogenannte Clearing – zur Disposition. Finanzplätze wie Paris und Frankfurt gelten als erste Anwärter, die Rolle Londons zu übernehmen. Deutsche Banker, Börsianer und Anwälte sehen einer Umfrage zufolge Frankfurt ohnehin als grossen Gewinner eines Austritts Grossbritanniens aus der Europäischen Union.
EU-Pass kann kaum ersetzt werden
Ob die Briten weiter Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit seinem zollfreien Warenverkehr bekommen, muss in Austrittsverhandlungen geklärt werden. Premierministerin Theresa May will bis spätestens Ende März 2017 den Antrag für den EU-Ausstieg nach Brüssel schicken. Für das Londoner Finanzzentrum ist insbesondere der sogenannte EU-Pass wichtig. Dieser ermöglicht Banken den ungehinderten Zugang zu den Kapitalmärkten der EU. Cunliffe sagte, es wäre ein «mühevoller Prozess», ein Nachfolgemodell für das derzeitige Pass-System zu finden. (awp/mc/cs)