Britische Notenbank sieht Finanzrisiken und lockert Kreditregeln

Mark Carney

Mark Carney, Gouverneur Bank of England.

London – Die Bank of England (BoE) warnt vor einer erheblichen Abschwächung des Wirtschaftswachstums in Grossbritannien wegen des Brexit-Votums. Nun wollen die Währungshüter den britischen Banken bei der Kreditvergabe unter die Arme greifen. Er sehe wachsende Anzeichen für eine Konjunkturabschwächung, sagte Notenbankchef Mark Carney am Dienstag bei einer Pressekonferenz in London. Zuvor hatte die Zentralbank in ihrem Finanzstabilitätsbericht bekannt gegeben, eine wichtige Regulierungsvorschrift für Banken zurückzunehmen, um Engpässe bei der Kreditvergabe zu vermeiden.

Anders als im März angekündigt, will die BoE demnach vorerst nicht einen sogenannten kontrazyklischen Kapitalpuffer in Höhe von 0,5 Prozent einführen, der nach bisheriger Planung Ende März 2017 formal in Kraft getreten wäre. Sofern nichts dazwischen komme, solle der Puffer nun mindestens bis Juni 2017 bei null bleiben, heisst in dem Bericht.

Ein kontrazyklischer Kapitalpuffer über null hätte den Zweck gehabt, Banken dazu zu bringen, in konjunkturell guten Zeiten mehr Eigenkapital als Sicherheit für schwierigere Phasen zu bilden.

BoE: Bis zu 150 Mrd Pfund mehr Kapazität für Ausleihungen
Die Zurücknahme des geplanten Puffers habe sofortige Auswirkungen auf die Möglichkeit der Banken zur Kreditvergabe, so die BoE. Denn: Um Überlappungen mit anderen Eigenkapitalanforderungen zu vermeiden, waren diese wegen des bislang geplanten Puffers angepasst worden. An diesen Anpassungen wolle man nun festhalten, obwohl der Puffer zurückgenommen wurde.

«Das bedeutet, dass drei Viertel der Banken, die für 90 Prozent der Ausleihungen in der britischen Wirtschaft stehen, mit sofortiger Wirkung grössere Flexibilität haben werden, um das Kreditangebot gegenüber der Realwirtschaft aufrecht zu erhalten», heisst es in dem Bericht. Der vorläufige Wegfall des Puffers erhöhe die Ausleihungskapazität der britischen Banken um bis zu 150 Milliarden Pfund.

Risiken für die Finanzmarktstabilität
Die Währungshüter warnten vor Risiken für die Finanzmarktstabilität in Grossbritannien und verwiesen dabei auf das hohe Leistungsbilanzdefizit, das im Gegenzug einen hohen Zufluss an ausländischem Kapital erforderlich macht. Es gebe Hinweise, dass sich dieser Zufluss bereits verlangsamt habe, warnt die Notenbank. Zudem hätten sich die Risikoprämien für britische Finanzanlagen erhöht.

Risiken gebe es zudem im britischen Markt für Gewerbeimmobilien, wo sich der Zufluss an ausländischem Kapital bereits im ersten Quartal – also vor dem Brexit – um 50 Prozent verringert habe. Dies könne die Immobilienpreise belasten.

Carney: «Werden alles nötige tun»
Notenbankchef Carney signalisierte Handlungsbereitschaft, um «nötige wirtschaftliche Anpassungen» nach dem Votum abzudämpfen. Man habe Kapazitäten zum Handeln, wenn der Artikel 50 der EU-Verträge zur Geltung komme. Die Bestimmung regelt den Austritt eines Mitgliedslandes aus der Europäischen Union (EU).

Man werde alles Nötige tun, um Grossbritannien unter die Arme zu greifen und in unsicheren Zeiten die Beschäftigung und das Wachstum zu stützen, sagte Carney. Alle Massnahmen würden dabei auf die Binnenwirtschaft ausgerichtet sein.

Carney: Schwaches Pfund dürfte Exporte stützen
Das Verhältnis Grossbritanniens zur EU werde entscheidend für die künftige Kreditnachfrage sein, sagte der Währungshüter. Die BoE könne Liquidität in Fremdwährungen bereitstellen. Die Volatilität an den Finanzmärkten könne die Notenbank aber nicht voll ausgleichen. Das schwache britische Pfund dürfte die britischen Exporte unterdessen stützen, sagte Carney.

Explizit sprach der Notenbanker die jüngste Abschwächung in der Bauwirtschaft an, die sich auch auf den Arbeitsmarkt auswirken dürfte. Der viel beachtete Indikator des Londoner Instituts Markit zur Stimmung der Einkaufsmanager in der Bauwirtschaft signalisierte im Juni überraschend eine Schrumpfung. (awp/mc/ps)

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