Frankfurt – Nach gut zehn Jahren an der Spitze der Deutschen Bundesbank tritt Jens Weidmann als Bundesbank-Präsident überraschend zurück. Der 53-Jährige, der häufig die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisiert hat, legt sein Amt aus persönlichen Gründen zum Jahresende nieder, wie die Bundesbank am Mittwoch mitteilte. Weidmann habe Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um seine Entlassung aus dem Amt zum 31. Dezember 2021 gebeten. EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Politiker zollten ihm Respekt und bedauerten die Entscheidung.
«Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als 10 Jahre ein gutes Zeitmass sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich», schrieb Weidmann in einem Brief an die Belegschaft der Notenbank. Über die Nachfolge Weidmanns muss die Bundesregierung entscheiden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm die Entscheidung mit Bedauern und Respekt auf. Merkel danke Weidmann für seine Arbeit «in diesen währungspolitisch und finanzpolitisch sehr herausfordernden Jahren seiner Amtszeit», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. «Es wird nun die Aufgabe einer neuen, einer kommenden Bundesregierung sein, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden.» Auch Finanzminister Olaf Scholz dankte Weidmann für sein Engagement. «Er hat nicht nur die Geldpolitik in Deutschland und Europa in dieser Zeit massgeblich geprägt, sondern auch die Weiterentwicklung der internationalen Finanzmärkte vorangebracht», erklärte der SPD-Kanzlerkandidat.
Bedauern bei Lagarde
EZB-Präsidentin Lagarde bedauerte die Entscheidung des promovierten Volkswirtes «zutiefst». Weidmann habe klare Vorstellungen über Geldpolitik gehabt. «Doch ich war stets beeindruckt von seinem Willen, im EZB-Rat nach Gemeinsamkeiten zu suchen, von seinem Einfühlungsvermögen gegenüber seinen Kollegen im Eurosystem und von seinem Willen, Kompromisse zu finden.»
Kritik an expanisver Geldpolitik
Weidmann hat immer wieder vor einer Überforderung der Geldpolitik gewarnt. Der Bundesbank-Präsident ist Mitglied im obersten Entscheidungsgremium der Notenbank – dem EZB-Rat. Durchsetzen könnte er sich mit seiner Haltung allerdings oft nicht. Erst jüngst hatte Weidmann in einem Interview die geldpolitischen Beschlüsse des EZB-Rats vom Juli kritisiert, in dem das Zinstief vorerst zementiert wurde. Ihm sei «die potenziell zu lange Fortschreibung des Niedrigzinsumfelds zu weitgehend».
Die Notenbank strebt nach ihrer jüngst beschlossenen Strategie für die 19 Staaten des Euroraums mittelfristig eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an – und das möglichst über einen längeren Zeitraum. Dabei nimmt sie auch in Kauf, dass die Inflation vorübergehend moderat über dem Zielwert liegt. Zuvor lag das EZB-Inflationsziel bei «unter, aber nahe zwei Prozent».
Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer dürfte bei Weidmanns Entscheidung eine Rolle gespielt haben, «dass er sich im EZB-Rat mit seinen Vorstellungen häufig nicht durchsetzen konnte».
Der scheidende Bundesbank-Präsident betonte in seinem Schreiben mit Blick auf die neue EZB-Strategie, entscheidend sei «nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren». Die Geldpolitik dürfe nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte geraten. «Dies bleibt meine feste persönliche Überzeugung genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängigkeit der Geldpolitik.»
An der EZB-Ratssitzung am 14. Dezember dürfte Weidmann noch teilnehmen. Dabei dürfte über die Zukunft des mindestens noch bis Ende März 2022 laufenden besonders flexiblen und milliardenschweren Kaufprogramms für Wertpapiere (Pandemic Emergency Purchase Programme PEPP) in der Corona-Krise entschieden werden. (awp/mc/pg)